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Nirgendwo in Afrika

Titel: Nirgendwo in Afrika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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zusammen auch dann nur acht Finger und zwei Daumen, als sie zu streiten anfingen, ob Greschek seinen Laden in der Jägerndorfer Straße gehabt und in der Tropauer Straße gewohnt hatte oder umgekehrt. Walter konnte Jettel nicht überzeugen und sie nicht ihn, doch ihre Stimmen blieben sanft und fröhlich.
    Schließlich einigten sie sich, daß auf jeden Fall Doktor Müller seine Praxis in der Tropauer Straße gehabt hatte. Die freundlichen Flammen der guten Laune drohten einige gefährliche Sekunden lang gerade wegen Doktor Müller zum üblichen Feuer nicht vergessener Kränkungen zu werden. Jettel behauptete, er sei schuld an ihrer Brustentzündung nach Reginas Geburt gewesen, und Walter entgegnete aufgebracht: »Du hast ihm ja keine Chance gelassen und sofort den Arzt aus Ra-tibor kommen lassen. Mir ist das heute noch peinlich. Müller war schließlich ein Bundesbruder von mir.«
    Regina wagte kaum zu atmen. Sie wußte, daß Doktor Müller bei ihren Eltern so schnell einen Krieg auslösen konnte wie eine gestohlene Kuh bei den Massai. Erleichtert merkte sie aber, daß diesmal der Kampf mit ungiftigen Pfeilen ausgetragen wurde. Sie fand ihn längst nicht so unangenehm wie erwartet, und er wurde sogar spannend, als Walter und Jettel diskutierten, ob der Tag gut genug war, um die letzte Flasche Wein aus Sohrau zu holen, für die immer noch eine besondere Gelegenheit gesucht wurde. Jettel war dafür und Walter dagegen, aber dann wechselte Jettel ihre Meinung und Walter auch. Ehe sie dazu kamen, Ärger ins Zimmer zu jagen, sagten beide gleichzeitig: »Warten wir lieber noch ein bißchen, vielleicht kommt doch noch ein besserer Tag.«
    Owuor wurde in die Küche geschickt, um Kaffee zu kochen. Er brachte ihn in der schlanken weißen Kanne mit den rosa Rosen auf dem Deckel und kniff dabei das linke Auge zu, was bei ihm immer bedeutete, daß er auch über jene Dinge Bescheid wußte, von denen er nicht reden konnte. Schon als der Bwana und die Memsahib sich beim Anblick des Briefs wie Kinder gefreut hatten, hatte Owuor die Hefe für die kleinen Brötchen angesetzt, die nur seine Hände so rund wie die Söhne eines fetten Mondes zaubern konnten.
    Die Memsahib vergaß nicht zu staunen, als er den Teller mit den heißen winzigen Broten hereintrug, und der Bwana statt »sente sana« mit drei schnellen Schlägen seiner Augenwimpern sagte: »Komm Owuor, wir lesen jetzt der Memsahib ki-dogo den Brief vor.« Satt von der Ehre, die seinen Bauch erwärmte, ohne daß er zu essen brauchte, und noch mehr seinen Kopf setzte sich Owuor in die Hängematte. Er umarmte seine Knie, sagte singend »Greschek«, und im letzten Strahl der Sonne fütterte er seine Ohren mit dem Lachen vom Bwana, der ein Gesicht so weich wie das Fell einer jungen Gazelle hatte.
    »Lieber Herr Doktor«, las Walter vor, »ich weiß gar nicht, ob Sie noch leben. In Leobschütz haben sie erzählt, daß ein Löwe Sie gefressen hat. Das habe ich nie richtig geglaubt. Gott rettet doch nicht einen Mann wie Sie, damit ein Löwe zu fressen hat. Ich habe den Krieg überlebt. Grete auch. Aber aus Le-obschütz mußten wir fortmachen. Die Polen haben uns nur einen Tag Zeit gelassen. Sie waren noch schlimmer wie die Russen. Jetzt wohnen wir in Marke. Das ist ein häßliches Dorf im Harz. Noch kleiner als Hennerwitz. Sie nennen uns hier Polacken und Ostpack und denken, nur wir haben den Krieg verloren. Wir haben nicht satt zu essen, aber doch mehr als andere, weil wir auch mehr arbeiten. Wir haben doch alles verloren und wollen es wieder zu was bringen. Das ärgert die hier besonders. Sie kennen doch Ihren Greschek. Grete sammelt Schrott, und ich verkaufe ihn. Wissen Sie noch, wie Sie immer gesagt haben: Greschek, es ist nicht anständig, was Sie mit Grete machen. Da habe ich sie auf der Flucht geheiratet, und jetzt bin ich doch ganz froh darüber.
    Bis zu dem verfluchten Krieg bin ich oft nach Sohrau rüber-gemacht und habe in der Nacht Ihrem Herrn Vater und dem Fräulein Schwester Lebensmittel gebracht. Es ging ihnen sehr schlecht. Grete hat jeden Sonntag in der Kirche für sie gebetet. Ich konnte nicht. Wenn Gott das alles gesehen hat und hat nichts getan, dann hat er ja auch keine Gebete mehr gehört. Den Herrn Bacharach hat die SA auf der Straße zusammengeschlagen und weggebracht. Kurz nachdem Sie aus Breslau fortgemacht sind. Wir haben dann nichts mehr von ihm gehört.
    Hoffentlich kommt dieser Brief in Afrika an. Ich habe einem englischen Soldaten einen Stahlhelm verschafft.

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