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Nirgendwo in Afrika

Titel: Nirgendwo in Afrika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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spürte, denn er schüttelte den Kopf. Sein hilfloser Trotz war ihr dennoch Trost, denn sie sagte, ohne daß ihre Stimme sich von der Verzweifelung schwach machen ließ: »Es muß ein Junge werden, jetzt haben wir doch einen Namen für ihn.«
18
    In der langen Nacht zum 6. März 1946 fanden sehr viele erschöpfte Menschen im Hove Court nicht die Ruhe, die sie in der Zeit außergewöhnlicher Hitzeplagen mit noch größerer Leidenschaft verteidigten als ihre persönliche Habe. In der Mehrzahl der Zimmer und Flats brannten die Lampen dem Sonnenaufgang entgegen; Babys schrien noch vor Mitternacht nach ihren Ajas und Flaschen; Hausboys verloren ihren Sinn für Recht, Pflicht und Ordnung und setzten vor dem ersten Zwitschern der Vögel das Wasser für den Morgentee auf; Hunde bellten Mond, Schatten, verdorrte Bäume und erzürnte Menschen an. Sie gerieten im heiseren Groll in jene Fehden, die unweigerlich zu einem gnadenlosen Kampf ihrer Besitzer führten; Radios schmetterten ihre Schlager so laut wie zuletzt bei Kriegsende in Europa; selbst die fast taube Miss Jones erschien im Nachthemd vor dem geschlossenen Verwaltungsbüro, um  das Vernehmen von ruhestörenden Geräuschen zu melden.
    Owuor, der allein mit der Memsahib kidogo war, ging weder zum Essen noch zu der jungen Frau, die er vor einer Woche aus Kisumu hatte kommen lassen, in sein Quartier. In der dritten Stunden nach Sonnenuntergang klopfte er alle Decken und Matratzen aus, bürstete danach die Holzfußböden und den Hund ab und pflegte schließlich seine Fingernägel mit der Feile von der Memsahib, was diese ihm niemals erlaubt hätte, wäre sie zu Hause gewesen.
    Mit schwerer Last in Brust und Bauch schaukelte er seine Erschöpfung in Reginas Hängematte zur Ruhe, ohne daß genug Schlaf zu ihm kam, um die Bilder in seinem Kopf auszubrennen. Von Zeit zu Zeit versuchte er, das wehmütige Lied von der Frau zu singen, die ihr Kind im Wald suchte und immer nur die eigene Stimme hörte, aber die Melodie blieb zu oft in seiner Kehle stecken, und er mußte schließlich doch seine Ungeduld heraushusten.
    Regina lag in ihrer weißen Schulbluse und dem empfindlichen grauen Rock, der nach noch mehr Schonung verlangte als ein frisch geschlüpftes Küken, auf dem Bett ihrer Eltern. Sie hatte sich vorgenommen, »David Copperfield« von der ersten bis zur letzten Seite zu lesen, ohne auch nur für ein einziges Glas Wasser aufzustehen, aber schon in den ersten beiden Absätzen des Buches verkeilten sich die Buchstaben ineinander und rasten als feuerrote Kreise an ihren Augen vorbei. Die Hände waren feucht von der Anstrengung, über die bunten Perlen des Zaubergürtels zu streichen; die Zunge scheute bereits die Mühe, den einzigen Wunsch, den Regina je wieder vom Schicksal erbitten wollte, genau richtig zu formulieren, um den schweigsamen Gott Mungo zu überzeugen, daß er diesmal auf ihrer Seite und nicht wie in den Tagen der verschluckten Tränen auf der des Todes zu stehen hatte.
    Seitdem Walter und Jettel mitten im Abendessen mit einem kleinen Koffer und, den Geruch von Amok laufenden Hunden ausströmend, in Mr. Slapaks Auto weggefahren waren, kämpfte Regina gegen die Angst, die mehr böse Kraft hatte als eine ausgehungerte Schlange. Die Ungewißheit wütete in ihren Eingeweiden wie ein zorniger Wasserfall nach dem Sturm. Nur wenn der steinige Berg in ihrer Kehle zwischen ihre Zähne zu rutschen drohte, rannte sie zu Owuor, tastete mit den Spitzen ihrer Finger die vertrauten Rundungen seiner Schultern ab und fragte: »Glaubst du, dieser Tag wird gut?«
    Dann riß Owuor sofort die Augen auf und sagte, als hätte er sein ganzes Leben nur den einen Satz sprechen gelernt: »Ich weiß, der Tag wird gut.« Sobald die Worte aus seinem Mund waren, schauten er und die Memsahib kidogo jedesmal zu Boden, hatten sie doch beide einen Kopf, der nicht vergessen konnte. Und beide wußten sie, daß ein gutes Gedächtnis an Tagen, auf die es ankam, schlimmer war als der rächende Knüppel eines Bestohlenen auf der nackten Haut eines ertappten Diebs.
    Um drei Uhr morgens goß Elsa Conrad die Kamelien vor ihrem Fenster und schalt sich so laut eine vergreiste Närrin, daß Mrs. Taylor wütend auf ihren Balkon stürmte und um Ruhe schrie. Trotzdem kam es nicht zum Streit, denn genau in dem Moment, da Elsa endlich die passenden englischen Schimpfworte einfielen und sie sich auch über deren korrekte Aussprache im klaren wurde, sah sie Professor Gottschalk. Er spazierte im Hut und mit der

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