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Nirgendwo in Afrika

Titel: Nirgendwo in Afrika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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schon alles gesagt. Ich hab's nur ihm erzählt.«
    »Seit wann weißt du es?«
    »Der Brief kam ein paar Tage nach dem von Greschek. Man hat ihn mir im Camp ausgehändigt. Ich war so froh, daß er durch die Militärzensur mußte, weil er aus Rußland kommt, und ich euch nichts davon zu erzählen brauchte. Ich habe nicht geweint. Bis heute nicht. Und ausgerechnet da muß mich Regina erwischen. Ich habe ihn ihr vorgelesen. Ich wollte nicht, aber sie hat mir keine Ruhe gelassen. Mein Gott, ich schäme mich so vor dem Kind.«
    »Gib her«, sagte Jettel leise, »ich muß es doch wissen.«
    Sie ging zum Fenster, faltete das vergilbte Papier auseinander, sah die Blockbuchstaben und versuchte, zunächst nur den Namen und die Adresse des Schreibers zu lesen.
    »Wo ist Tarnopol?« fragte sie, doch sie wartete die Antwort nicht ab. Ihr war es, als könne sie dem Entsetzlichen, das auf sie zukam, noch ausweichen, wenn sie sich nur nicht die Zeit zum Erfassen des Geschehens ließe.
    Die Worte »Sehr geehrter Herr Doktor Redlich«, sagte Jettel noch laut, doch dann flüchtete ihre Stimme in die Verlassenheit des Schweigens, und sie begriff mit einer Ohnmacht, die sie schaudern machte, daß sie von ihren Augen keine Gnade mehr erwarten durfte.
    »Ich war vor dem Krieg in Tarnopol Lehrer für die deutsche Sprache«, las Jettel, »und habe heute die traurige Pflicht, Sie vom Tod Ihres Vaters und Ihrer Schwester in Kenntnis zu setzen. Ich habe Herrn Max Redlich gut gekannt. Er hatte Vertrauen zu mir, weil er mit mir Deutsch sprechen konnte. Ich habe versucht, ihm zu helfen, soweit es in meiner Macht stand. Eine Woche vor seinem Tod gab er mir Ihre Adresse. Da wußte ich, daß er wollte, daß ich Ihnen schreibe, falls ihm etwas passieren sollte.
    Ihr Vater und Ihre Schwester haben sich nach vielen Gefahren und furchtbaren Entbehrungen nach Tarnopol durchgeschlagen. In der ersten Zeit der deutschen Besetzung gab es für ihn und Frau Liesel noch Hoffnung. Sie konnten sich hier in einem Kellerraum des Schulhauses versteckt halten und wollten bei der ersten Gelegenheit weiter in die Sowjetunion. Dann haben zwei SS-Leute am 17. November 1942 Ihren Vater auf der Straße erschlagen. Er war sofort tot und hat nicht mehr zu leiden brauchen.
    Frau Liesel wurde einen Monat später aus dem Schulhaus verschleppt und nach Belsec gebracht. Wir konnten nichts mehr für sie tun und haben nichts mehr von ihr gehört. Es war der dritte Transport nach Belsec. Von dem ist keiner zurückgekommen. Ich weiß nicht, ob Sie wissen, daß Frau Liesel auf der Flucht einen Tschechen geheiratet hat. Herr Erwin Schweiger war Lastwagenfahrer und wurde von der russischen Armee zum Militär gezwungen. So mußte er Ihren Vater und Frau Liesel im Stich lassen.
    Ihr Vater war sehr stolz auf Sie und hat viel von Ihnen gesprochen. Den letzten Brief, den Sie ihm geschrieben haben, hatte er immer in seiner Brusttasche. Wie oft haben wir ihn gelesen und uns vorgestellt, wie gut und sicher Sie und Ihre Familie es auf der Farm haben. Herr Redlich war ein tapferer Mann und hat bis zum Schluß Gott vertraut, daß er Sie wiedersehen wird. Gott sei seiner Seele gnädig. Ich schäme mich für alle Menschen, daß ich so einen Brief schreiben muß, aber ich weiß, daß in Ihrer Religion der Sohn für den Vater am Todestag ein Gebet spricht. Die meisten Ihrer Brüder werden das nicht können. Wenn ich nur wüßte, ob es ein Trost für Sie sein wird, daß Sie es können, wäre mir meine Pflicht leichter.
    Ihr Vater sagte mir immer, Sie hätten ein gütiges Herz. Möge Gott es Ihnen erhalten. Schreiben Sie mir nicht zurück nach Tarnopol. Briefe aus dem Ausland führen hier zu Schwierigkeiten. Ich schließe Sie und Ihre Familie in meine Gebete ein.«
    Während sie auf die Tränen wartete, die sie erlösen würden, faltete Jettel den Brief behutsam zusammen, aber ihre Augen blieben trocken. Es verwirrte sie, daß sie nicht schreien und noch nicht einmal sprechen konnte, und sie kam sich wie ein Tier vor, das nur körperlichen Schmerz fühlen kann. Verlegen setzte sie sich zwischen Walter und Regina und zog ihren verschwitzten Kittel glatt. Sie machte eine kleine Bewegung, als wollte sie beide streicheln, konnte ihre Hand jedoch nicht hoch genug heben und strich sich immer wieder über den Bauch.
    Jettel fragte sich, ob es nicht Sünde wäre, einem Kind, das in ein paar Jahren nach seinen Großeltern fragen würde, Leben zu schenken. Als sie Walter ansah, wußte sie, daß er ihr Aufbegehren

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