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Nirgendwo in Afrika

Titel: Nirgendwo in Afrika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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vor, als hätten die Eltern gerade getanzt.
    Einen Moment voller Verlangen glaubte Regina, das große Wunder von Ol' Joro Orok hätte sich wiederholt und Martin wäre so überraschend zu Besuch gekommen wie in den Tagen, als er noch ein Prinz war. Ihr Herz keuchte bereits im Körper, und ihre Fantasie galoppierte in eine Zukunft, die aus einer Decke von goldenen Sternen mit Spitzen aus rubinrot leuchtenden Steinen gewebt war. Da sah sie auf dem runden Tisch ein schmales, gelbes Kuvert mit vielen Stempeln liegen. Regina versuchte, die Schrift zwischen den Wellenlinien der Stempel zu lesen, aber obwohl jedes Wort in Englisch war, ergab keins davon einen Sinn. Gleichzeitig ging ihr auf, daß die Stimme ihres Vaters so hoch wie der Ruf eines Vogels war, der die ersten Regentropfen auf den Flügeln fühlt.
    »Der erste Brief aus Deutschland ist da«, rief Walter. Sein Gesicht war rot, doch ohne Angst, die Augen klar und von winzigen Funken erhellt.
    Der Brief war als Militärpost der Besatzungsbehörden der britischen Zone befördert worden, adressiert an »Walter Redlich, Farmer in the Surrounding of Nairobi« und kam von Gre-schek. Owuor, der ihn aus dem Verwaltungsbüro vom Hove Court geholt und ahnungslos den Jubel ausgelöst hatte, der noch Stunden später wie ein Buschfeuer loderte, konnte den Namen bereits so gut aussprechen, daß seine Zunge kaum noch zwischen den Zähnen festklebte.
    »Greschek«, lachte er, legte das Kuvert in die Hängematte und beobachtete aufmerksam, wie der dünne Umschlag schaukelte, als sei er eines jener kleinen Schiffe, die er mal als junger Mann in Kisumu gesehen hatte. »Greschek«, wiederholte er und ließ auch seine Stimme torkeln.
    »Der Josef, er hat's geschafft«, jubelte Walter, und Regina merkte erst da, daß seine Tränen schon bis zum Kinn getropft waren, »er ist davongekommen. Er hat mich nicht vergessen. Weißt du überhaupt, wer Greschek ist?«
    »Greschek gegen Krause«, freute sich Regina. Als Kind hatte sie den Satz für den größten Zauber der Welt gehalten. Sie hatte ihn nur sagen müssen, und schon lachte ihr Vater. Es war ein wunderbares Spiel gewesen, aber dann war ihr eines Tages doch klargeworden, daß ihr Vater beim Lachen wie ein getretener Hund ausgesehen hatte. Danach hatte sie die drei Worte, deren Sinn sie ohnehin nie begriffen hatte, in ihrem Kopf vergraben.
    »Ich hab' vergessen«, fuhr sie verlegen fort, »was das heißt. Aber das hast du immer in Rongai gesagt. Greschek gegen Krause.«
    »Vielleicht sind deine Lehrer gar nicht so dumm. Du scheinst tatsächlich ein kluges Kind zu sein.«
    Das Lob kitzelte Reginas Ohr sanft und beruhigend. Sie grübelte mit Behagen, wie sie den frisch gesäten Beifall zur großen Ernte treiben könnte, ohne eitel zu erscheinen. »Er ist«, fiel ihr schließlich ein, »mit dir bis Rom gefahren, als du aus der Heimat gemußt hast.«
    »Bis Genua, Rom hat gar keinen Hafen. Lernt ihr denn gar nichts in der Schule?«
    Walter hielt Regina den Brief hin. Sie sah, daß seine Hand zitterte, und sie begriff, daß er von ihr die gleiche Erregung erwartete, die seinen Körper verbrannte. Als sie aber die dünnen Buchstaben mit den Bögen und Spitzen sah, die ihr vorkamen wie die Schrift der Majas, die sie vor kurzem in einem Buch gesehen hatte, gelang es ihr nicht mehr, ihr Lachen rechtzeitig zu verschlucken.
    »Hast du auch so geschrieben, als du Deutscher warst?« kicherte sie.
    »Ich bin Deutscher.«
    »Wie soll sie denn Sütterlin lesen?« schimpfte Jettel und streichelte Regina die Verlegenheit von der Stirn. Ihre Hand war heiß, das Gesicht glühte, und die Kugel im Bauch rutschte von einer Seite zur anderen.
    »Auch das Baby ist ganz aufgeregt, Regina«, lachte sie, »es strampelt wie verrückt, seitdem der Brief gekommen ist. Mein Gott, wer hätte gedacht, daß mich mal ein Brief von Greschek so aufregen würde. Du kannst dir gar nicht vorstellen, was für ein komischer Kerl er war. Aber einer der ganz wenigen Anständigen in Leobschütz. Auf Greschek laß ich nichts kommen. Seine Grete hat er uns geschickt, um mir beim Packen zu helfen, als ich nicht mehr wußte, wo mir der Kopf stand. Das habe ich ihm nie vergessen.«
    Eingetaucht in die Vergangenheit, die mit einem einzigen Brief wieder Gegenwart war, zogen sich Walter und Jettel in eine Welt zurück, in der nur Platz für sie beide war. Sie saßen eng beisammen auf dem Sofa und hielten sich an der Hand, während sie Namen nannten, seufzten und Wehmut tranken. Sie hatten

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