Nirgendwo in Afrika
Bei entsprechend unauffälliger Führung, die im besonderen Maße von Tagesschülern erwartet wurde, bestand auch kaum eine Notwendigkeit, die Direktorin näher kennenzulernen.
Die erzwungene Distanz minderte indes keineswegs Reginas Wertschätzung für Mrs. Scott. Im Gegenteil. Sie war der Schulleiterin, die nichts anderes von ihr forderte als das eingeschränkte Selbstbewußtsein, an das sie ohnehin gewöhnt war, unendlich dankbar für ein Reglement, das sie vor einer weiteren Verurteilung zum verhaßten Internatsleben bewahrte.
Auch Owuor verdankte der unbekannten Mrs. Scott eine permanente Hochstimmung. Er genoß es jeden Tag aufs neue, mit zwei Kikapus statt mit einer winzigen Tasche zum Markt zu ziehen und sich nicht mehr vor den Boys reicher Memsahibs schämen zu müssen, wieder in großen Töpfen zu kochen und vor allem seine Ohren wie in den besten Zeiten auf der Farm für die Erlebnisse von drei Menschen aufzuhalten. Abends, ehe er das Essen aus der winzigen Küche in den Raum mit dem runden Tisch und der Hängematte trug, in der die kleine Mem-sahib schlief, sagte er mit dem satten Behagen eines erfolgreichen Jägers: »Wir sind nicht mehr müde Menschen auf Safari.«
Sobald Regina den ersten Bissen Essen im Mund fühlte, machte sie Owuors Kopf und ihrem Herzen die immer wieder berauschende Freude, den schönen Satz in den genau richtigen Schwingungen einer zufriedenen Stimme zu wiederholen. Nachts in ihrer engen Bettschaukel baute sie an sechs Tagen in der Woche den Zauber zu einem wortreichen Dank an den großzügigen Gott Mungo aus, der nach all den Jahren von Sehnsucht und Verzweiflung endlich ihre Gebete erhört hatte. Die zweistündige Busfahrt vor und nach dem Unterricht erschien ihr ein federleichter Preis für die Gewißheit, daß sie sich nie mehr drei lange Monate von ihren Eltern trennen mußte.
Noch vor Sonnenaufgang und ehe die ersten Lampen in den flachen Häuschen des Personals angezündet wurden, stieg sie zusammen mit ihrem Vater in den überfüllten Bus zur Delama-re Avenue und dort in den noch volleren, der aus der Stadt fuhr und nur von Eingeborenen benutzt wurde. Walter hatte nach vielen schriftlichen Eingaben an Captain McDowell, der in Brighton vier Kinder, sehr wehmütige Erinnerungen an ein Familienleben und in den Baracken im Ngong nie genug Platz für seine Leute hatte, im sechsten Monat von Jettels Schwangerschaft die Erlaubnis erhalten, zu Hause zu wohnen.
Er fuhr täglich zum Dienst in die Post- und Informationsabteilung seiner Unit und kam erst spät abends ins Hove Court zurück, nur freitags meistens rechtzeitig genug, um mit Regina in die Synagoge zu gehen. Als er die Tradition seiner Kindheit mit einer Selbstverständlichkeit wiederaufnahm, als hätte er ihr nie in der Verzweiflung der Emigration auf immer abgeschworen, dachte Regina zunächst, es wäre ihrem Vater nur wichtig, an der richtigen Stelle für das Wohlergehen des Babys zu beten.
»Es geht um dich«, hatte er ihr jedoch gesagt, »du sollst wissen, wohin du gehörst. Es ist höchste Zeit.« Sie hatte sich nicht getraut, um die Erklärung zu bitten, nach der ihr verlangte, aber auf alle Fälle freitags ihre nächtlichen Gespräche mit Mungo eingestellt.
An einem Freitag im Dezember hörte Regina ihren Vater schon aufgeregt reden, ehe sie noch die Zitronenbäume hinter den Palmen erreicht hatte. Sie kam noch nicht einmal dazu, die Hühnersuppe und den süßen Fisch in jenen Flats zu riechen, deren Bewohner noch nicht ausschließlich Englisch miteinander sprachen und dazu übergegangen waren, den Sabbat ihren anstrengenden Assimilationsmühen zu opfern. Eine so frühe Heimkehr ihres Vaters war zwar ungewöhnlich, widersprach aber nicht grundsätzlich allen früheren Erfahrungen. Sie hatte also zunächst keinen Grund, beunruhigt zu sein. Trotzdem rannte sie viel schneller als sonst durch den Garten und entschied sich sehr plötzlich für die Abkürzung zwischen den Ameisenhaufen zum Flat. Die Angst war schneller als ihre Beine. Sie fiel zu rasch vom Kopf in den Magen und ließ die Bilder, die sie nicht sehen wollte, in ihre Augen. Als Regina aus dem schmalen Loch in der wuchernden Dornenhecke kroch, war die Tür zur Küche offen. Sie traf ihre Eltern in einem Zustand an, den sie zwar nicht selbst erlebt hatte, aber von dem sie alles wußte. Obwohl der Nachmittag noch von der Hitze des Tagesbrandes kochte und ihrer Mutter in der feuchten Luft jede Bewegung noch schwerer fiel als sonst, kam es Regina
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