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Nirgendwo in Afrika

Titel: Nirgendwo in Afrika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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auf, der den Durst in seinen Wurzeln gefühlt hat und gerade noch rechtzeitig die rettenden Tropfen auf seinen Blättern spürt.
    »Max ist da«, keuchte er. »Diesmal hat es der liebe Gott gut mit uns gemeint.«
    Die Stille hielt an, bis Walters graue Haut sich zurück in jenes leichte Braun gefärbt hatte, das zu seiner Uniform paßte. Regina hatte die Worte ihres Vaters zu lange im Ohr gelassen, um mehr tun zu können, als ihren Kopf zu kleinen, gleichmäßigen Bewegungen zu zwingen. Es dauerte eine schwere halbe Minute, ehe sie den belebenden Strom ihrer Tränen spürte.
    Als sie die Augen endlich öffnen konnte, sah sie, daß auch ihr Vater weinte; sie drückte lange ihr Gesicht an das seine, um den heißen salzigen Brei der Freude mit ihm zu teilen.
    »Max«, sagte Owuor. Seine Zähne leuchteten wie neue Kerzen im dunklen Raum. »Jetzt«, lachte er, »jetzt haben wir einen Bwana kidogo.«
    Wieder sagte niemand ein Wort. Doch dann wiederholte Owuor noch einmal den Namen, den er so deutlich aussprach, als hätte er ihn immer schon gekannt, und da schlug ihm der Bwana auf die Schulter. Er lachte dabei wie am Tag, als die Heuschrecken davongeflogen waren, und nannte ihn seinen Rafiki.
    Das glatte, sanfte Wort für Freund, das Owuor nur dann mit Stolz genießen konnte, wenn es der Bwana leise und ein bißchen heiser sagte, flog wie ein Schmetterling am heißen Tag auf seine Ohren zu. Die Laute trieben Wärme in die Brust und löschten die mit einem zu scharfen Messer geschnitzte Angst der langen Nacht.
    »Hast du das Kind schon gesehen?« fragte er. »Hat es zwei gesunde Augen und zehn Finger? Ein Kind muß aussehen wie ein kleiner Affe.«
    »Mein Sohn ist schöner als ein Affe. Ich hab' ihn schon in meinen Händen gehalten. Heute nachmittag sieht ihn die Mem-sahib kidogo. Owuor, ich hab' gefragt, ob ich dich mitbringen kann, aber im Krankenhaus haben die Schwestern und der Arzt nein gesagt. Ich wollte, daß du dabei bist.«
    »Ich kann warten, Bwana. Hast du das vergessen? Ich habe vier Regenzeiten gewartet.«
    »Du weißt so genau, wann das andere Kind gestorben ist?«
    »Du weißt es doch auch, Bwana.«
    »Manchmal habe ich das Gefühl, daß Owuor mein einziger Freund in dieser verfluchten Stadt ist«, sagte Walter auf dem Weg zum Krankenhaus.
    »Ein Freund reicht für ein ganzes Leben.«
    »Wo hast du das schon wieder aufgeschnappt? Bei deiner dämlichen englischen Fee?«
    »Bei meinem dämlichen englischen Dickens, aber ein bißchen Freund ist Mr. Slapak auch. Er hat dir doch sein Auto geborgt. Sonst müßten wir jetzt mit dem Bus fahren.«
    Regina zupfte ein kleines Stück von der Füllung aus den zerschlissenen Autopolstern und kitzelte Walters Arm mit den harten Spitzen vom Pferdehaar. Ihr wurde bewußt, daß sie ihren Vater nie zuvor am Steuer eines Wagens gesehen und, daß sie überhaupt nicht gewußt hatte, daß er Auto fahren konnte. Sie wollte ihm das gerade sagen, doch sie ahnte, ohne daß sie sich den Grund schnell genug erklären konnte, daß ihn die Bemerkung kränken würde, und sagte statt dessen: »Du fährst gut.«
    »Ich bin schon Auto gefahren, als noch niemand an dich gedacht hat.«
    »In Sohrau?« fragte sie gehorsam.
    »In Leobschütz. Den Adler vom Greschek. Mein Gott, wenn
    Greschek wüßte, was heute für ein Tag ist.«
    Der klappernde Ford stöhnte die Hügel hinauf und ließ dichte Wolken von feinem rotem Sand hinter sich. Der Wagen hatte auf der linken Seite und vorne kein Glas und große Löcher im verrosteten Dach, durch die die Sonne brannte. Die Hitze mit den schnellen Flügeln und der schwüle Fahrtwind kratzten die Haut rot. Regina fühlte sich wie in dem Jeep, mit dem sie Martin für die Ferien abgeholt hatte. Sie sah die dunklen Wälder von Ol' Joro Orok mit lange nicht mehr erlebter Deutlichkeit und dann einen Kopf mit blondem Haar und hellen Augen, aus denen kleine Sterne ins Weite flogen.
    Eine Zeitlang genoß sie die Vergangenheit mit gleicher Freude wie die Gegenwart, aber ein plötzliches Brennen im Nacken brachte jene schmerzende Sehnsucht zurück, von der sie glaubte, sie sei für immer von den Tagen des Wartens verschluckt worden. Sie kaute Luft, um ihre Augen von den Bildern zu befreien, die sie nicht mehr sehen durfte, und ihr Herz von einer Trauer, die nicht zu ihrem berauschenden Glück paßte.
    »Ich liebe dich sehr«, flüsterte sie.
    Das Eskotene Nursing Home, ein solide gebautes weißes Gebäude mit Fenstern aus hellblauem Glas und schlanken Portalsäulen, um

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