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Nirgendwo in Afrika

Titel: Nirgendwo in Afrika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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und das war erstaunlich schnell der Fall, machten sie sich durch ihre Wißbegier und selbst für engagierte Pädagogen sehr lästiges Streben zu Außenseitern in einer Gemeinschaft, in der nur sportliche Erfolge zählten. Mr. Brindley, der Literatur und Geschichte mit sehr befriedigenden Resultaten studiert hatte, hegte selbst nicht solche Vorurteile gegen geistige Leistungen. Er hatte jedoch in langen Jahren gelernt, die doch sehr beruhigende Lethargie der Farmerskinder im Unterricht als typisch für das Lebensgefühl in der Kolonie zu akzeptieren. Mit Religion hatte er sich nie befassen müssen. So grübelte er oft, ob der übertriebene Lerneifer seinen Ursprung in der jüdischen Lehre haben könnte. Für nicht ganz ausgeschlossen hielt er auch seine These, daß Juden wohl von klein auf ein traditionsgebundenes Verhältnis zu Geld hatten und vielleicht nur das meiste aus den Schulgebühren herausholen wollten. Mr. Brindley bekam ja immer wieder mit, obgleich er solche Einblicke in die Privatsphäre verabscheute, daß sehr viele Refugee-Eltern die paar Pfund für die Schulgebühren nur mit äußerster Mühe zusammenkratzten und es auch dann nicht schafften, ihren Kindern die vorgeschriebene Summe Taschengeld zu geben.
    Typisch erschien dem Direktor der Fall des Mädchens mit dem unaussprechlichen Vornamen und den drei aufgeregten Männern, die es vor sechs Monaten zum erstenmal in der Na-kuru School abgeliefert hatte. Inge Sadler hatte damals kein Wort Englisch gesprochen, obgleich sie offenbar lesen und schreiben konnte, was ihrer Lehrerin allerdings eher als Hindernis denn als Vorteil erschienen war. In der ersten Zeit hatte das verschüchterte Kind nur geschwiegen und wie ein Mädchen vom Land gewirkt, das in einem Herrschaftshaus den Tee servieren soll.
    Als Inge zu reden anfing, sprach sie fast fließend Englisch, sah man von einem störenden Rollen aller R-Laute ab. Danach waren ihre Fortschritte ebenso enorm wie irritierend. Miß Scri-ver, die sich sehr energisch gegen die Aufnahme eines Kindes ohne Sprachkenntnisse in ihrer Klasse gewehrt hatte, mußte selbst vorschlagen, Inge gleich zwei Klassen höher einzustufen. Eine solche Versetzung mitten im Schuljahr war in der Schule noch nie vorgekommen und wurde entsprechend ungern gesehen, weil weniger begabte Kinder eine Bevorzugung hatten wittern können. So etwas führte oft zu unliebsamen Disputen mit den Eltern.
    Auch das Mädchen aus Ol' Joro Orok mit einem ebenso unaussprechlichen Vornamen wie die kleine Streberin aus Lon-diani hatte es Mr. Brindley unmöglich gemacht, sein bewährtes Prinzip beizubehalten, keine Präzedenzfälle zu schaffen. Genau wie Inge vor ihr, hatte Regina in den ersten Wochen in der Na-kuru School alle Vorgänge stumm verfolgt und ängstlich genickt, wenn sie angesprochen wurde. Dann ließ sie mit einer Plötzlichkeit, die Mr. Brindley schon ein wenig provozierend fand, ihre Lehrer merken, daß sie nicht nur Englisch gelernt hatte, sondern auch lesen und schreiben konnte. Auch Regina war soeben zwei Klassen höher eingestuft worden. Also saßen die zwei kleinen Refugees, die ohnehin unzertrennlich waren, wieder zusammen und würden gewiß sehr bald mit ihrem aufdringlichen Ehrgeiz für Unruhe sorgen.
    Mr. Brindley seufzte, wann immer er an solche Komplikationen dachte. Aus Gewohnheit schaute er zu den Pfefferbüschen hin. Sein Ärger über Begabungen, die aus dem Rahmen fielen, erschien ihm kleinlich. Er fand es aber bezeichnend, daß ausgerechnet die beiden Mädchen, die ihn dazu gebracht hatten, seinen Prinzipien von gleicher Behandlung für alle untreu zu werden, sich immer wieder von der Gemeinschaft ausschlossen. Wie erwartet, sah er die kleinen schwarzhaarigen Fremdlinge im Gebüsch sitzen. Der Gedanke verdroß ihn, daß sie wahrscheinlich noch in der Freistunde lernten und am Ende miteinander auch Deutsch sprachen, obwohl außerhalb des Unterrichts alle Unterhaltungen in fremden Sprachen streng untersagt waren.
    Der Direktor täuschte sich. Inge hatte immer nur dann Deutsch mit Regina gesprochen, wenn sie sich nicht mehr weiterzuhelfen wußte. Das unverhoffte Wiedersehen mit der Freundin aus dem Norfolk war ihr zunächst Glück genug, und sie hatte den ausgeprägten Instinkt einer Außenseiterin, nicht mehr als nötig aufzufallen. So trieb Inge, unbewußt und unbeirrt, Regina dazu, sich ebenso entschlossen aus ihrer Sprachlosigkeit zu erlösen, wie sie es einige Monate zuvor selbst getan  hatte.
    »Jetzt«, sagte sie, als

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