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Nirgendwo in Afrika

Titel: Nirgendwo in Afrika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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verblüfft.
    »Nein. Er hat kein Gewehr.«
    »Meiner auch nicht«, erwiderte Inge beruhigt. »Aber wenn er ein Gewehr hätte, würde er alle Deutschen totschießen. Er haßt die Deutschen. Meine Onkel hassen sie auch.«
    »Nazis«, verbesserte Regina, »ich darf zu Hause die Deutschen nicht hassen. Nur die Nazis. Aber ich hasse den Krieg.«
    »Warum?«
    »Der Krieg ist an allem schuld. Weißt du das nicht? Vor dem Krieg mußten wir nicht zur Schule.«
    »In zwei Wochen und zwei Tagen«, rechnete Inge aus, »ist alles vorbei. Dann dürfen wir nach Hause. Ich kann«, lachte sie, weil ihr der Einfall, der ihr soeben gekommen war, gut gefiel, »dich ja Janet nennen, wenn wir allein sind und uns keiner hört.«
    »Quatsch. Das ist doch nur ein Spiel. Wenn wir allein sind und uns keiner hört, will ich ja auch nicht Janet sein.«
    Auch Mr. Brindley sehnte sich nach den Ferien. Je älter er wurde, desto länger erschienen ihm die drei Monate Schulzeit.
    Er hatte nicht mehr genug Freude an einem Leben mit Kindern und in der Gemeinschaft von Kollegen, die alle jünger waren als er und weder seine Ansichten noch seine Ideale teilten. Die Zeit vor den Ferien, wenn er die Examensarbeiten des Semesters lesen und die Zeugnisse ausstellen mußte, zehrte so an seiner Kraft, daß er selbst sonntags arbeitete.
    Obwohl er erschöpft war und die Welt sich für ihn auf den monotonen Wechsel zwischen blauer und roter Tinte reduzierte, fiel Mr. Brindley sofort auf, daß die kleinen Refugees, wie er sie immer noch nannte, wenn er mit sich allein war, wieder einmal besonders gut bei den Prüfungen abgeschnitten hatten. Er lauerte auf die Irritation, die jede Abweichung von der Norm bei ihm auslöste, doch erstaunt merkte er, daß das gewohnte Unbehagen sich nicht einstellte.
    Trotz seiner depressiven Gedanken über seine nachlassende Flexibilität ging er sogar weit genug von seinen Prinzipien ab, Mittelmaß sehr viel mehr zu schätzen als jene Brillanz, von der er fand, auf sie sei kein rechter Verlaß. Mit einem Trotz, der ihn verwunderte, weil er seinem Wesen nicht genehm war, sagte er sich, eine Schule hätte schließlich auch die Aufgabe, Kinder geistig zu formen und sie nicht nur auf sportliche Höchstleistungen hinzudrillen.
    Ein wenig widerwillig bemerkte Mr. Brindley, daß ihm solche Gedanken nicht mehr seit seiner Studienzeit in Oxford gekommen waren. In guter Verfassung wäre er ihnen gewiß nicht nachgegangen, aber in seinem gegenwärtigen Zustand von verdrossener Müdigkeit und nicht erklärbarer Auflehnung belebten die Grübeleien Gefühle, die er sich in den langen Jahren als Direktor abgewöhnt hatte.
    »Die Kleine aus Ol' Joro Orok«, sagte er laut, als er Reginas Zeugnis sah, »ist wirklich eine erstaunliche Schülerin.«
    Mr. Brindley hatte im allgemeinen eine Aversion gegen Leute, die zu Selbstgesprächen neigten. Trotzdem lächelte er, als er seine Stimme hörte. Unmittelbar darauf erwischte er sich bei dem Gedanken, daß er den Namen Regina gar nicht so unaussprechlich fand, wie er immer gedacht hatte. Schließlich hatte er lange Jahre Latein gelernt und das mit einiger Freude. So grübelte er nur, wie wohl die Deutschen auf die Idee kamen, ihre Kinder mit so anspruchsvollen Namen zu belasten. Er kam zu dem Ergebnis, daß dies wahrscheinlich mit ihrem Ehrgeiz zu tun hatte, auch in kleinen Dingen aufzufallen.
    Ohne daß er sich überhaupt bemühte, ein Verhalten zu rechtfertigen, das ihm ebenso unpassend wie absonderlich erschien, suchte er Reginas Aufsatz aus einem Stapel Hefte auf dem Fensterbrett heraus und begann zu lesen. Schon die ersten Sätze machten ihn neugierig, das Ganze verblüffte ihn. Er hatte eine solche Ausdrucksweise noch nie bei einem achtjährigen Kind erlebt. Regina schrieb nicht nur fehlerfreies Englisch. Sie hatte auch einen gewaltigen Wortschatz und eine ungewöhnliche Fantasie. Besonders die Vergleiche, die für Mr. Brindley alle aus einer fremden Welt stammten und die ihn in ihrer übertriebenen Art rührten, beschäftigten ihn. Miß Blandford, die Klassenlehrerin, hatte an den Schluß des Aufsatzes »Well do-ne!« geschrieben. Einem Impuls folgend, den er seiner Vorfreude auf die Ferien zuschrieb, nahm er Reginas Zeugnis und wiederholte das Lob in seiner steilen Schrift.
    Es war nie Mr. Brindleys Art gewesen, sich mehr als nötig mit einem einzelnen Kind zu befassen. Er war auch stets gut damit gefahren, sich nicht von Emotionen zu einer Sentimentalität hinreißen zu lassen, die er in seinem

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