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Nirgendwo in Afrika

Titel: Nirgendwo in Afrika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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Lehrerinnen ließen den Direktor an gutgeführte englische Landsitze denken. Der See mit seiner durch die Flamingos rosagetönten Oberfläche war noch nahe genug, um ein an englischer Sanftheit geschultes Auge zu entzücken, doch wiederum so weit entfernt, um bei Kindern kein unnötiges Verlangen nach Natur oder gar nach einer Welt jenseits der Schulgrenzen aufkommen zu lassen.
    Seit einiger Zeit irritierten allerdings die niedrigen Bäume mit den dünnen Stämmen, um die sich wuchernde Pfefferbüsche rankten, den Direktor. Lange Zeit hatte er gefunden, daß die Bäume besonders gut in die karge Landschaft des Rift-Tals paßten, doch sie machten ihm kaum noch Freude, seitdem er täglich erleben mußte, daß sich neuerdings einige Kinder in ihrer Freizeit dorthin zurückzogen. Mr. Brindley hatte diese störende Flucht ins Private nie ausdrücklich verboten, allerdings auch keinen Grund für ein solches Verbot gehabt. Um so mehr verdroß ihn der Beweis, daß es gewissen Schülern und erst recht den neuen Schülerinnen auffallend schwerfiel, sich einem Leben zu stellen, das Individualismus und Außenseiter mißbilligte.
    Für Arthur Brindley waren solche Abweichungen von der harmonischen Norm unstreitig eine Folge des Kriegs. Der Direktor mußte immer mehr Kinder in seine Schule aufnehmen, die zu wenig Sinn für die gute alte englische Tugend hatten, nicht aufzufallen und vor allem die Gemeinschaft vor die eigene Person zu stellen. Ein Jahr nach Kriegsausbruch hatten die Behörden in Kenia die allgemeine Schulpflicht für weiße Kinder eingeführt. Mr. Brindley empfand das nicht nur als Einschränkung der elterlichen Freiheit, sondern auch als eine recht übertriebene Anstrengung der Kolonie, es in Notzeiten dem bedrohten Mutterland gleichzutun.
    Gerade für die Nakuru School im Zentrum des Landes brachte die Schulpflicht einschneidende Veränderungen. Sie mußte sogar Kinder von Buren aufnehmen und hatte sich noch glücklich zu schätzen, daß es nicht allzu viele waren. Die meisten wurden auf die Afrikaans-Schule in Eldoret geschickt. Diejenigen aus der Umgebung, die in Nakuru landeten, waren störrisch und machten trotz ihrer mangelhaften Sprachkenntnisse keinen Hehl aus ihrem Haß auf England. Weder versuchten sie, mit ihren Mitschülern auszukommen, noch ihr Heimweh zu verbergen. Trotzdem war der Umgang mit den hitzköpfigen kleinen Buren leichter als anfänglich vermutet. Sie verlangten keine Beachtung, und die Lehrkräfte brauchten nur dafür zu sorgen, daß sich die widerspenstigen kleinen Rebellen nicht zusammenrotteten und die Schulordnung störten.
    Ein viel größeres Problem waren für den Direktor die Kinder der sogenannten Refugees. Wurden sie in der Schule von Eltern abgeliefert, die einen peinlichen Hang zu typisch kontinentalen Abschiedsszenen mit Händeschütteln, Umarmungen und Küssen hatten, wirkten sie wie die kleinen, jämmerlichen Gestalten aus den Romanen von Dickens. Ihre Schuluniformen waren aus billigem Stoff und bestimmt nicht in dem dafür zuständigen Geschäft für Schulbedarf in Nairobi gekauft, sondern von indischen Schneidern genäht worden. Kaum ein Kind hatte das Wappen der Schule.
    Dies widersprach der gesunden Tradition der Gleichmachung durch die Schuluniform und wäre vor der Einführung der Schulpflicht Grund genug gewesen, solche Schüler gar nicht erst aufzunehmen. Der Direktor ahnte aber, daß er, falls er auf die bewährte Art verfuhr, unliebsame Diskussionen mit der obersten Schulbehörde in Nairobi heraufbeschwören würde. Arthur Brindley empfand die Situation als störend. Er war gewiß nicht intolerant gegen Menschen, von denen er gehört hatte, ihnen wäre Unrecht geschehen und sie hätten nicht dort bleiben können, wohin sie gehörten.
    Seinem ausgeprägten Sinn für Fairneß widerstrebte es jedoch, daß jüdische Kinder durch die fehlenden Wappen irgendwie gezeichnet schienen. Für die Mädchen galt dies auch am Sonntag, denn ihnen fehlten die vorgeschriebenen weißen Kleider für den Kirchgang. Er war sicher, daß sie deswegen so große Schwierigkeiten machten, wenn ihnen befohlen wurde, zur Kirche zu gehen.
    »Die verdammten kleinen Refugees«, wie Mr. Brindley sie im Kollegenkreis nannte, machten dem Direktor noch auf ganz andere Art zu schaffen. Sie lachten kaum, sahen immer älter aus, als sie tatsächlich waren, und hatten für englische Maßstäbe einen geradezu absurden Ehrgeiz. Kaum beherrschten diese ernsten, unangenehm frühreifen Geschöpfe die Sprache,

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