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Nixenblut

Nixenblut

Titel: Nixenblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Dunmore
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ich fühle nichts als die Leere, die sich in mir ausbreitet.
    Bis ich plötzlich einen Sog verspüre, erst schwach, dann immer stärker werdend. Ich weiß, was das zu bedeuten hat. Der Wasserspiegel sinkt rasch.
    Seit dem Gezeitenwechsel ist schon eine Stunde vergangen. Ich weiß es, ohne zu wissen, woher. Ich spüre die Gezeiten in mir, als hätte sich mein Blut in Salzwasser verwandelt.
Da ist der Sog wieder, stärker als je zuvor, und reißt mir fast meine Füße weg. Ich muss los. Auf der Stelle.
    Schnell, schnell, schnell. Sonst ist es zu spät.

Vierzehntes Kapitel

    W o sind wir, Faro?«
    Wir schwimmen gemächlich Seite an Seite. Unsere Körper sind in eine sanfte, warme Strömung gehüllt, die uns gen Norden führt. Ich bin zurück in Indigo, was mir weder merkwürdig noch gefährlich vorkommt. Alles ist mir so vertraut, als hätte ein Teil von mir seit jeher hier gelebt.
    »Wir sollten nicht zu lange hier bleiben, sondern die Strömung in westliche Richtung verlassen«, sagt Faro. »Dort befindet sich ein anderes Land der Luftwesen und dahinter ist der große Ozean.«
    Ich sehe alles vor mir, als würde ich auf eine Landkarte blicken. Der Ozean, der zu unserem Teil von Cornwall gehört, ist der Atlantik. In nordwestlicher Richtung liegt Irland. Westlich von Irland erstreckt sich der Atlantik über tausende von Meilen, bis man schließlich Amerika erreicht.
    Dad hat mir alles über Ozeane beigebracht, lange bevor ich in der Schule Geografie bekam. Mit einem spitzen Stock hat er eine Meereskarte in den festen weißen Sand unserer Bucht gezeichnet und gesagt, eines Tages würden wir all diese Ozeane befahren – den Pazifik, den Atlantik, den Indischen Ozean, das Nord- und das Südpolarmeer, die fünf Weltmeere, wie Dad gesagt hat.
    Ich liebe den Klang ihrer Namen, und ich habe Dad geglaubt, als er sagte, wir würden sie eines Tages persönlich
kennen lernen. Er sagte, Conor und ich könnten ein Jahr von der Schule befreit werden. Dann gingen wir alle auf große Fahrt.
    Mum sagte: »Erzähl den Kindern doch nicht solche Sachen, Mathew. Woher willst du denn das Geld nehmen, um über die Weltmeere zu segeln? Wir können doch kaum unsere Telefonrechnung bezahlen.« Doch ich weiß, dass Mum nicht Recht hatte. Sie hat sich immer eingebildet, die Rechnungen nicht bezahlen zu können, und am Ende sind sie doch bezahlt worden. Hätten wir auf Weltreise gehen wollen, wäre das Geld schon irgendwo hergekommen.
    »Meinst du den Atlantik, wenn du vom großen Ozean redest, Faro? Meintest du Irland und dahinter den Atlantik, der sich bis nach Amerika erstreckt?«
    Faro zuckt die Schultern, während seine Augen provozierend blitzen.
    »Atlantik? Tut mir Leid, Sapphire. Davon habe ich noch nie gehört.«
    »Du schwimmst gerade in ihm, Faro!«
    Er spreizt seine Finger und lässt das Wasser durch sie hindurchlaufen.
    »Das Wort Atlantik steht aber nirgends angeschrieben«, murmelt er und tut so, als suche er nach einem Schriftzug. Er macht eine halbe Drehung und schaut nach oben. Sein Unterkörper schlägt kurz aus und glitzert im dunkelgrünen Licht des Wassers. »An der Oberfläche steht auch nichts. Vielleicht ist die Beschriftung weggespült worden.«
    »Sei nicht blöd, Faro. Das Wasser und den Himmel kann man nicht beschriften wie einen Felsen.«
    »Woher willst du dann wissen, dass der Name Atlantik ist?«

    »Weil es eben so ist.«
    »Also für mich ist es nicht so.«
    »Auf jeder Karte, die ich jemals gesehen habe, steht Atlantik! «, sage ich mit Entschiedenheit. Warum kann Faro nicht einmal zugeben, dass er etwas nicht weiß?
    »Karten sind was für Leute, die nicht wissen, wo sie sind«, verkündet Faro selbstgefällig.
    »An Land kann man sich schnell verlaufen.«
    »Schon möglich, aber wer will schon an Land sein?«
    »Du, zum Beispiel. Vergiss nicht, dass ich dich zum ersten Mal auf dem Felsen gesehen habe.«
    »Das hatte einen bestimmten Grund.«
    »Und der wäre?«
    »Ich werde es dir eines Tages erzählen, wenn du fließend Mer sprichst.«
    Auf so etwas gehe ich grundsätzlich nicht ein, sondern wechsle lieber das Thema.
    »Natürlich muss man das Meer nicht unbedingt Atlantik nennen«, fahre ich fort. »Wir nennen es so, weil man halt irgendeinen Namen braucht. Und was meinst du eigentlich mit Großer Ozean? Alle Ozeane sind schließlich groß. Woher soll man dann wissen, von welchem du sprichst? Nennt ihr ihn wirklich so?«
    »Das ist doch nur ein Name«, sagt Faro schulterzuckend. »Wir schleppen eben keine

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