Nixenblut
zu bewegen, und spüre den kraftvollen Schlag meines Unterleibs. Ich schieße lachend nach oben, während mein Bruder mich jagt …
Ich erwache, als sich ein kalter Schatten über mich schiebt. Erschrocken öffne ich die Augen und starre zur schwarzen Oberfläche empor. Der Schatten ist direkt über mir und schirmt sämtliches Licht ab. Ein Hai, denke ich panisch. Aber es ist kein Lebewesen. Der dunkle Schatten sieht massiv aus, wie etwas, das von Menschen angefertigt wurde. Er gehört nicht zu Indigo. Woher weiß ich das?
Es muss ein Boot sein, das ich von unten betrachte. Deshalb habe ich es nicht gleich erkannt. Ich starre direkt auf seinen Rumpf. Es hat die Größe eines Fischerboots. Ich sehe das Ruder und den Propeller. Ein kleines Boot, das mich nicht verletzt, auch wenn es direkt über mir ist. Der Motor ist ohnehin abgeschaltet. Das Boot treibt gemächlich vor sich hin.
Und dann passiert es. Ein Gesicht beugt sich über den Bootsrand. Ein Gesicht, gefolgt von Schultern und Oberkörper in einem blauen T-Shirt. Jemand starrt zu mir hinab in die Tiefe. Das Gesicht wird von der Luft verzerrt. Es zittert.
Dennoch kann ich es gut erkennen. Es ist das Gesicht eines Mannes. Und wenn ich ihn sehe, dann muss auch er mich …
Tatsächlich. Seine Augen scheinen mich erblickt zu haben. Ich sehe, wie sein Gesicht erstarrt. Der Mann glotzt mich unentwegt an, als könne er nicht glauben, was er da sieht.
Und mit einem Mal wird mir klar, was er sieht und warum er so ungläubig guckt. Er sieht ein Mädchen, weit unten im Wasser, das zu ihm aufschaut. Unsere Blicke treffen sich. Er sieht mich und ich sehe ihn. Eine ganze Weile starren wir uns so an und selbst durch Wasser und Luft hindurch nehme ich seine bestürzte Miene wahr. Das ist doch nicht möglich. Ein Mädchen, das unter Wasser in der Sonne liegt. Ein Mädchen mit offenen Augen, das nicht zu atmen braucht wie andere Menschen. Sie ist nicht ertrunken, sondern erwidert seinen Blick. Eine Meerfrau. Ich glaube, dieses Wort auf seinen Lippen lesen zu können. Vielleicht ruft er einem Begleiter auf dem Boot zu, er solle ein Netz holen, mich einfangen und in einen Glasbehälter sperren, um mich im Zirkus zur Schau zu stellen …
Ich tauche.
Ich verschwinde in der Tiefe, während mir der Schreck in die Glieder fährt. Immer tiefer und tiefer tauche ich. Dorthin, wo die Mer leben und wohin die Menschen ihnen nicht folgen können. In diesem Moment verstehe ich zum ersten Mal, warum Faro die Taucher hasst und fürchtet. Es sind Luftwesen, die ihre Luft auf dem Rücken transportieren und in Gebiete vordringen, in denen sich nur die Mer aufhalten sollten. Der Mann in dem blauen T-Shirt kann mir nicht folgen. Doch ein Taucher mit Neoprenanzug und Sauerstoffflasche
wäre in der Lage, hinter mir herzuschwimmen und mich zu fangen. Faro hat Recht. Taucher sind gefährlich.
In Gedanken sehe ich wieder das Gesicht vor mir, das mich schockiert anstarrt. Schockiert, ungläubig und … erkennend . Ich kenne dieses Gesicht, aber woher? Meine Erinnerung ist voll von Indigo. Zu viele andere Eindrücke sind auf mich eingedrungen. Mit äußerster Anstrengung versuche ich, darüber nachzudenken, wer dieser Mann sein könnte. Wo ich ihn schon mal gesehen habe.
Lass gut sein, Sapphire, sage ich mir. In Indigo bist du geborgen. Ich schaukele sanft im tiefen Wasser. Mein Blut scheint dem von Faro wirklich immer ähnlicher zu werden. Ich fasse um mein Handgelenk und spüre, wie niedrig mein Puls ist. Faro sagt…
Aber wo ist Faro? Warum bin ich allein?
Fünfzehntes Kapitel
H ier bin ich«, sagt Faros sanfte Stimme, dicht an meinem Ohr.
»Wo bist du gewesen? Ich hatte solche Angst. Als ich aufwachte, sah ich ein Boot über mir und einen Mann, der mich angestarrt hat.«
»Ich weiß, ich habe ihn auch gesehen.«
Plötzlich, ohne dass ich bewusst daran gedacht habe, fließt der Name des Mannes in mein Bewusstsein. Es ist Mums Freund Roger. Er wollte sicher noch nicht tauchen, sondern sich erst mal einen Überblick über das Gebiet verschaffen, um später wiederzukommen.
Doch als ich von zu Hause wegging, saßen Mum und Roger im Wohnzimmer und haben Karten gespielt. Ich muss lange im Sonnenwasser gelegen und geschlafen haben. Oder habe ich gar nicht geschlafen? Vielleicht war es nur der Unterschied zwischen Menschenzeit und Indigozeit. Wie kommt es, dass die Zeiten so verschieden sind?
Vielleicht ist es wie mit einem Papierfächer. Vielleicht lässt sich die Zeit zusammenfalten, um sich
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