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Nixenblut

Nixenblut

Titel: Nixenblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Dunmore
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Wasser.«
    Conor schenkt ein und ich hebe mein Glas. Das Wasser
riecht frisch. Doch es kommt aus der Erde und ist süß, nicht salzig. Es gehört zur Erde. Ich führe das Glas an die Lippen und setze es wieder ab. Ich will Salz. Ich will den Geschmack des Meeres. Des grünen, türkisfarbenen Meeres mit seinen tiefen, unterirdischen Höhlen, in denen man tauchen und spielen kann. Ich will mich in den Wellen tummeln und in die brausende Tiefe stürzen, die voller Blasen, Wirbel und Strömungen ist. Doch Granny Carnes Haus ist über zwei Meilen vom Meer entfernt. Es schmiegt sich an die Hügel und ist mit ihnen verbunden.
    Ich fühle mich gefangen. Ich will hinaus. Als wir einmal mit Dad und Mum in London waren, haben wir den Lift einer U-Bahn-Station benutzt. Ich dachte, es würden keine Menschen mehr hineinpassen, aber die Leute drängten immer weiter hinein, bis mein Gesicht so hart gegen einen fetten Mann im Anzug gedrückt wurde, dass ich fast keine Luft mehr bekam. Ich konnte den Schweiß des Mannes riechen. Alle schoben und quetschten in einer Tour, sodass ich Mum, Dad und Conor nicht mehr sehen konnte. Der Lift bedrängte mich und genauso empfinde ich es jetzt auch. Die Wände des Hauses engen mich ein. Meine Brust schmerzt. Ich kann kaum noch atmen.
    Ich brauche den weiten Raum des Meeres. Ich will das Salzwasser schmecken, meinen Mund öffnen und wissen, dass ich atmen kann, ohne zu atmen. Immer tiefer und tiefer, in Indigo …
    Ich schiebe quietschend meinen Stuhl auf den Steinfliesen zurück. Granny Carne ist sofort bei mir, groß und mächtig wie eine Eiche.
    »Trink, Sapphire! Trink das!«
    Sie hält mir das Glas Wasser an die Lippen. Ich versuche,
meinen Kopf wegzudrehen, doch sie besteht darauf. »Ich weiß, dass du durstig bist, Sapphire. Trink dein Wasser.«
    Sie presst das Glas gegen meine Lippen. Süßwasser — nicht das, was ich will. Ich will Salz. Doch ich bin durstig, so schrecklich durstig. Ich muss etwas trinken. Ich öffne meine Lippen, nur ein wenig. Spüre das Wasser an ihnen, ehe es in meinen Mund schießt. Es bedeckt meine Zunge und es schmeckt gut. Ich nehme einen tiefen Schluck, trinke mehr und mehr, kann nicht genug bekommen. Je mehr ich trinke, desto durstiger werde ich. Ich fühle mich wie eine Pflanze, die beinahe vertrocknet wäre. Granny Carne füllt mein Glas auf. Ich trinke weiter.
    Die Wände bedrängen mich nicht mehr. Es sind nur noch ganz gewöhnliche weiße Zimmerwände. Ich frage mich, wie sie mir solche Angst einjagen konnten.
    »Gut«, sagt Granny Carne. »Denk dran, Sapphire, du darfst niemals Salzwasser trinken, auch wenn du dich noch so sehr danach sehnst. Es erzeugt einen Durst, der niemals gestillt werden kann. Doch Salzwasser ist Gift für Menschen. «
    »Sapphire ist krank gewesen«, sagt Conor.
    »Kein Wunder, wenn sie Salzwasser trinkt«, entgegnet Granny Carne. »Jetzt sagt mir, was euch hierher geführt hat.«
    »Sie hat angefangen, eine andere Sprache zu sprechen«, sagt Conor.
    »Eine andere Sprache? Vielleicht Deutsch oder Französisch? «
    »Nein, nein, sie hat damit angefangen, ohne diese Sprache jemals gelernt zu haben. Sag ihr die Wörter, Saph, die du heute Morgen benutzt hast.«
    »Ich kann sie in ihrer Gegenwart nicht aussprechen. Sie
gehört zu N…« Ich breche abrupt ab, doch Granny Carne fragt nach.
    »Wozu gehöre ich?«
    »Zur Erde.«
    »Ja, aber du wolltest etwas anderes sagen. Du wolltest sagen, dass ich zu Norvys gehöre, nicht wahr?«
    Ich schaue sie erstaunt an. »Sie kennen das Wort auch … obwohl Sie nicht zu Indigo gehören.«
    »Die Erde und Indigo teilen einige Wörter. Aber darum geht es nicht. Die Frage ist, woher du das Wort Norvys kennst.«
    Ich schweige, während Granny Carnes Frage auf mir lastet. Ihr bernsteinfarbener Blick durchdringt mich …
    »Das sind Sie gewesen, nicht wahr?«, sage ich schließlich.
    Langsam breitet sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht aus. »Du warst mitten in der Nacht hellwach, nicht wahr? Und warum, glaubst du, sollte sich Norvys nicht in die Luft erheben können, wenn du doch nach Indigo gelangen kannst?«
    Conor blickt verwirrt zwischen uns her.
    »Granny Carne war die Eule, die letzte Nacht zu mir kam«, erkläre ich.
    »Nein«, widerspricht sie. »So einfach ist das nicht. Ich bin nicht die Eule, aber die Eule ist vielleicht eine meiner … Schattengestalten.«
    »Aber Ihre Augen sehen genauso aus.«
    »Ja.«
    »Wir sind wegen der Ereignisse der letzten Nacht gekommen«, sagt Conor. »Erzähl ihr

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