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Nixenfluch

Nixenfluch

Titel: Nixenfluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Dunmore
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steht kopf, und alles, was ich je dachte und wusste, verschwindet in einem gewaltigen Brausen.
    Der Wal taucht.
    *
    Die Tiefe. Wir sind in der Tiefe. Es ist dunkel und kalt und voller Echos. Ich fühle mich so dünn wie ein Blatt Papier. Ich kann kaum meine Hände bewegen, weil sie so schwer sind. Ich kenne diesen Ort. Wie beim letzten Mal überkommt mich die Angst, doch ich kämpfe gegen sie an, schiebe sie entschlossen beiseite. Wer hier unten in Panik gerät, ist verloren.
    Die Tiefe. Die Tiefe. Die Dunkelheit ist so undurchdringlich, dass man sich Licht nicht einmal mehr vorstellen kann. Das Gewicht der ganzen Welt lastet auf uns. Aber der Wal ist bei mir und ich bin in Sicherheit. Ich höre ihr Echolot, während sie sich ihren Weg bahnt. Sie weiß, wo sie hinmuss. Die Tiefe ist für sie wie ein offenes Buch. Für den Wal sind dies vertraute Jagdgründe.
    »Ganz ruhig, meine Kleine. Dieser Riesenkalmar könnte dir wehtun. Eigentlich würde ich ihn ja auffressen, aber das würde uns nur unnötig aufhalten.«
    Ein regelrechtes Echogewitter hallt durch das Wasser, als der Riesenkalmar an uns vorbeischwimmt. Zitternd drücke ich mich noch enger an meinen Zufluchtsort. Ich empfinde jedenfalls nicht das geringste Bedürfnis, den Riesenkalmar näher kennenzulernen.
    »Wäre ein leckerer Happen gewesen«, sagt der Wal bedauernd. »Magst du Tintenfisch, kleiner Nacktfuß?«
    »Ähm, hab ich noch nie gegessen«, lüge ich, falls der Kalmar mich hören sollte. Doch sein Echo verklingt, bevor er in der Dunkelheit entschwindet.
    Ein Dunkel wie dieses gibt es auf der Erde nicht. »Conor? Faro?«
    Keine Antwort. Meine Stimme scheint im Nirgendwo zu enden.
    »Wo sind sie?«
    »Sie reden nicht mit mir so wie du, aber ich spüre, dass sie da sind.«
    »Geht es ihnen gut?«
    »Sie haben warmes Blut in einer kalten Welt, und das bereitet ihnen Schmerzen. Aber sie leben. Ich spüre, dass sie am Leben sind.«
    Wir gleiten langsam durch einen Wald von Echos. Die Geräusche sind hier wie Licht. An ihnen kann man sich orientieren. Ich wünschte, ich könnte sie so gut deuten wie der Wal. Wenn sie das Wasser mit ihrem eigenen Echolot absucht, schmerzt es in meinen Ohren.
    »Noch ein Tintenfisch«, sagt sie.
    »Mach ruhig eine Pause und schnapp ihn dir, wenn du willst.«
    »Mein Versprechen, das ich Saldowr gegeben habe, ist wichtiger«, brummt sie. »Ich muss euch zum Kraken bringen.«
    »Kann er … kann er dich verletzen?«
    »Wir haben keinen Streit miteinander«, antwortet der Wal ruhig. »Aber jetzt sei still, meine Kleine, weil ich mit größter Konzentration lauschen muss. Wir sind ihm näher gekommen, und mein Weg führt zwischen zwei Bergen hindurch.«
    Bedächtig und behutsam gleiten wir weiter und versuchen alle Echos zu orten, deren Intensität stetig zunimmt. Ich wusste zwar, dass es hier unten Berge gibt, hatte jedoch keine Ahnung, was es heißt, im Dunkeln den schroffen Felsvorsprüngen ausweichen und genau darauf achten zu müssen, wie die Schallwellen sich verhalten. Was passiert, wenn der Wal in einen Engpass gerät oder sich verletzt?
    Es dröhnt in meinen Ohren. Die Echos hallen durch meinen Kopf, pulsen durch meinen Körper und erschüttern mich bis ins Mark. Ich kann nicht mehr denken, nicht mehr sehen und nicht mehr hören. Empfinde nur noch die Geräusche, die mich ganz ausfüllen. Sie peinigen mich und schlagen auf mich ein, bis ich es keine Sekunde mehr aushalte. Doch es wird immer schlimmer, und ich bete darum, dass das aufhört. Das Sonarecho malträtiert meinen Kopf wie die Schläge einer riesigen Hand. Ich rolle mich zusammen, auf der Suche nach Schutz. Die dröhnenden Schläge werden mich umbringen, denke ich, werden mich zu Tausenden von Atomen zersprengen.
    Das Geräusch ist so laut, dass ich das Gefühl habe, mich in meine Einzelteile aufzulösen. Ich ziehe mich tief in mich selbst zurück, weil ich keine andere Zuflucht mehr habe.
    Ich weiß nicht, wie lange das anhält. Irgendwann komme ich wieder zu mir. Noch benommen von der Lärmattacke schüttele ich den Kopf, kann es kaum glauben, dass irgendjemand die Lautstärke heruntergedreht hat. Die Echos sind immer noch laut, werden jedoch allmählich schwächer.
    »Wir haben den Pass überwunden, meine Kleine«, dröhnt der Wal.
    Den Pass überwunden … Als wären wir Bergsteiger, Tausende von Metern unter der Oberfläche. Ein Pass ist ein enger Weg, der zwischen hohen Felsen hindurchführt. Kein Wunder, dass die Echos so extrem waren, weil sie ständig

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