Nixenfluch
Seegrashalmen an seinem Bein festzubinden.
Faros Augen sehen wie schwarze Höhlen in seinem weißen Gesicht aus. Er bemüht sich um sein altes spöttisches Lächeln, doch es gelingt ihm nicht. Er sieht wütend und schockiert aus. Nicht ängstlich. Es hat etwas mit dem Spiegel zu tun und damit, was er ihm über sich selbst gezeigt hat. Dieser verdammte Spiegel , wie Faro ihn genannt hat. Plötzlich habe ich Angst, Faro einer Gefahr auszusetzen, die er vielleicht nicht überleben wird. Er ist nicht wie wir. Unser gemischtes Blut ist unsere Chance.
»Bitte, Faro, tu das nicht«, bitte ich ihn. »Du darfst dein Leben nicht wegwerfen.«
Seine Augen glühen. Es ist weder Wohlwollen noch Wärme in ihnen. »Hast du nicht verstanden, was Saldowr zu mir gesagt hat?«
Ich starre ihn an. Plötzlich sind wir durch ein instinktives Verständnis miteinander verbunden, und jetzt weiß ich auch, warum Faro mich in die Tiefe begleitet. Warum er dazu in der Lage ist.
Die Erkenntnis trifft mich wie ein Schock. Er kann es nicht glauben. Er will es nicht glauben. Er, Faro, stets so stolz darauf, ein reiner Mer zu sein. Aber der Spiegel ist zu stark. Seinem Wissen kann sich keiner entziehen. Das neue Wissen ist in Faro eingedrungen und hat ihn verändert. Ich strecke den Arm aus, doch er macht eine abwehrende Handbewegung.
»Jetzt nicht. Lass mich allein, Sapphire.«
Conor hat den Spiegel so sorgfältig an sein Bein gebunden, dass er hinter all dem Seegras fast nicht zu sehen ist. Der Talisman hängt sicher um seinen Hals. Die kleine Figur macht mir immer noch Angst. Warum glaubt Conor, dass sie sein Gesicht trägt, obwohl die doch eindeutig einen Mer darstellt? Nichts scheint mehr sicher zu sein. Früher wusste ich genau, wer zur Menschenwelt und wer zu Indigo gehörte. Faro war ein Mer, jeder in St. Pirans war ein Mensch, und ich war halb und halb. Doch jetzt scheinen die alten Bindungen sich aufzulösen, und das macht mir Angst.
Die Hitze der Vogelbeeren durchdringt den Stoff meiner Tasche und brennt auf meiner Haut. Vielleicht hätte ich sie doch nicht mitnehmen sollen. Sie gehören zur Erde. In Indigo könnten sie mir Schaden zufügen. Granny Carne hätte es nicht bemerkt, wenn ich sie zu Hause gelassen hätte.
Was hat Saldowr zu mir gesagt? Und dir hat niemand einen Talisman gegeben, Sapphire? Ich bin mir sicher, dass er über die Vogelbeeren in meiner Tasche Bescheid weiß. Doch ich wollte nicht zugeben, dass ich sie besitze.
Ich hoffe inständig, dass Saldowr niemals so böse auf uns sein wird wie Ervys. Ervys sah aus, als erlebe er einen wahrhaftigen Albtraum. Und er konnte erst erwachen, als Saldowr es ihm erlaubte.
Faro und Conor müssen inzwischen die andere Seite des Wals erreicht haben. Mir bleibt nichts anderes übrig als zu warten. Unter der Seitenflosse ist es dunkel, aber ich fühle mich hier sicher.
Wir setzen uns in Bewegung, gleiten langsam aus den Wäldern von Aleph hinaus. Niemand verabschiedet sich von uns. Saldowr kann seine Höhle nicht verlassen. Elvira bleibt bei ihm. Ervys, Talek und Mortarow müssen jetzt schon viele Kilometer entfernt sein. Sie konnten die Höhle gar nicht schnell genug verlassen.
Ich wünschte immer noch, wir hätten Ervys’ Demütigung nicht miterlebt. Er wird uns dafür bestrafen. Er ist der Typ, der wartet und wartet und sich irgendwann an dir rächt, wenn du schon längst nicht mehr damit rechnest.
Ich frage mich, ob ich das mächtige Herz des Wals schlagen höre. Wenn ich mein Ohr an ihre Haut lege … Nein, da ist nichts. Ihr Herz ist so weit von mir entfernt. Was für ein seltsames Gefühl, beinahe Teil von jemand zu sein, der so riesengroß ist. Der Wal manövriert sich mit äußerster Vorsicht aus den Wäldern von Aleph hinaus. Hinein ins freie Wasser. Ihre Seitenflossen bewegen sich behutsam, bestimmen die Richtung, streifen sanft über die Baumwipfel. Ich spähe zur Seite und sehe Seetang an mir vorbeisausen. Im Verhältnis zu ihrem enormen Körper kommt einem das Wasser nicht besonders tief vor.
»Alles in Ordnung, kleiner Nacktfuß? Bewege ich meine Flossen vorsichtig genug?«
»Ja, lieber Wal, mir geht’s gut.«
Über Faro und Conor scheint sie sich nicht allzu viel Sorgen zu machen, obwohl sie eingewilligt hatte, auch die beiden mitzunehmen. Vielleicht fühlt sie sich mir enger verbunden, weil wir uns damals in der Tiefe kennengelernt haben – eine warmblütige Gefährtin in eisiger Finsternis. Sie muss dasselbe empfunden haben.
Ich frage mich, wie es
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