Nixenfluch
zwischen den schroffen Felswänden hin und her geworfen wurden. Vielleicht waren die Berge so nah, dass ich sie hätte berühren können, wenn ich meinen Arm ausgestreckt hätte. Doch jetzt hat sich der Raum geweitet und die Echos verklingen. Ich stelle mir vor, dass der Wal in freies Gewässer kommt.
Wir werden langsamer und bewegen uns schließlich kaum noch vorwärts. Wir stehen auf der Stelle, umschlossen von Finsternis. Was passiert jetzt?
»Näher kann ich nicht herankommen, kleiner Nacktfuß«, sagt der Wal. Ihre Stimme dringt kaum durch das Wasser. Vielleicht will sie nicht, dass ihr jemand zuhört.
»Wo sind wir?«
»Wir sind nah an der Höhle des Kraken. Wir haben nicht mehr viel Zeit. Ich kann euch noch auf den richtigen Weg bringen, dann muss ich zurück an die Oberfläche, um zu atmen.«
Ich werde von Panik erfasst. Sie will uns in der Tiefe allein lassen. Ich dachte, sie würde bei uns bleiben. Wie sollen wir hier unten ohne sie überleben? Als ich letztes Mal allein in der Tiefe war, wusste ich nicht mal, in welche Richtung ich schwamm. Und wahrscheinlich sind wir jetzt in noch größerer Tiefe. Damals war immerhin ein kleiner Lichtschimmer zu sehen, der mir ausreichte, um den Wal zu erkennen.
Doch jetzt ist es stockfinster. Dunkler als es auf der Erde je sein könnte. Als wäre man in einem Kokon aus schwarzer Kleidung gefangen, der Mund, Nase und Ohren bedeckt, und würde plötzlich so heftig herumgewirbelt, dass man hinterher nicht mehr weiß, wo die Oberfläche und wo der Meeresgrund ist.
Ich kämpfe gegen die Panik an. Conor. Faro. Ich muss auch an sie denken. Aber der Wal darf uns hier nicht allein lassen, sonst werden wir nie wieder nach Hause finden, sondern für immer in der Tiefe verloren sein.
Ein vorsichtiges Glucksen lässt den Wal erbeben. »Natürlich komme ich wieder«, flüstert sie.
»Aber du wirst uns nicht mehr finden.«
»Ich bin eine Jägerin, vergiss das nicht. Vertrau mir. Ich werde euch schon aufspüren. Jetzt schwimm über mich hinweg, bis du deine Gefährten erreichst. Aber halte dich eng an mich.«
Mich aus dem Schutz der Seitenflosse zu lösen, ist eines der schwierigsten Dinge, die ich je getan habe. Am liebsten möchte ich für immer hierbleiben. Widerwillig, zögerlich bahne ich mir meinen Weg durch die Finsternis, die so massiv ist, dass man glaubt, sie mit Händen greifen zu können. Hier ist die geschwungene Linie ihrer Seitenflosse, da die Wölbung ihres Rückens. Dort muss ich hinauf- und an der anderen Seite wieder hinunterschwimmen, bis ich die andere Flosse erreiche. Dort warten Conor und Faro.
Ich halte engen Kontakt zur rauen, narbigen Haut des Wals. Meine Arme und Beine können sich kaum bewegen, weil das Wasser so schwer und der Druck der Tiefe so enorm ist. Ich bin froh, mich selbst nicht sehen zu können. Es fühlt sich so an, als hätte mich die Tiefe in einen flachen Schatten verwandelt. Ich kämpfe mich weiter, während ich mit einer Hand stets Kontakt zum Wal halte.
»Könntest du dich ein bisschen beeilen, Kleine? Ich muss bald atmen.«
Vor Anstrengung hämmert mir das Herz in der Brust. Der Weg nach oben scheint kein Ende zu nehmen. Schließlich wird die Wölbung flacher, ich befinde mich in der Waagerechten und beginne auf der anderen Seite wieder hinabzugleiten.
»Ein bisschen näher«, flüstert der Wal.
Die Tiefe stößt mich von ihrem Körper weg. Ich klammere mich förmlich an sie und traue mich nicht, mit den Füßen zu strampeln, aus Angst, mich durch eine falsche Bewegung in der Finsternis zu verlieren, die überall lauert.
»Stopp, du bist da.«
Meine Füße haben Kontakt zur Seitenflosse bekommen.
»Conor?«, flüstere ich. »Faro?«
Keine Antwort. Mir rutscht das Herz in die Hose. Vielleicht haben sie den Tauchgang nicht überlebt. Vielleicht hatte sich der Wal nur eingebildet, sie seien noch an ihrem Platz, und in Wahrheit sind sie längst fortgetrieben worden.
Vorsichtig taste ich mich an der Flosse entlang. Plötzlich stoße ich irgendwo mit dem Fuß an und schreie fast auf, ehe eine wütende Stimme sagt: »Autsch, meine Schwanzflosse!«
»Faro?«
»Sapphire, bist du das? Ich dachte schon, du wärst eine Kreatur aus der Tiefe.«
»Hast du nicht gehört, dass ich eure Namen gerufen habe?«
»Nein, mir dröhnt immer noch der Schädel.«
»Wo ist Conor? Geht’s ihm gut?«
Conors Stimme klingt so schwach, dass ich nicht verstehe, was er sagt.
»Oh, Faro, er ist verletzt!«
»Nein, wir haben nur kein Gefühl
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