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Nixenfluch

Nixenfluch

Titel: Nixenfluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Dunmore
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wie alte Lumpen. Noch immer halte ich ihm die Vogelbeeren entgegen. Nichts Böses kommt an ihnen vorbei. Nichts Böses …
    Ein dunkler Wasserwirbel hüllt den Kraken ein, sodass er für ein paar Sekunden vor uns verborgen ist. Irgendetwas peitscht das Wasser auf. Es ist eine Schwanzflosse. Die starke Schwanzflosse einer Robbe, die ebenso glänzt wie die von Faro. Ein Schwall von Haaren, leuchtend wie Tang, umspielt das Gesicht eines …
    Eines Mer? Eines Menschen? Es ist eine Mischung aus Mer und Mensch. Seine Augen sind dunkel, ohne den silbrigen Glanz von Mer-Augen.
    »Wer bist du?«, frage ich.
    Ein glatter Wasserumhang hüllt den Körper des Kraken ein und verdeckt ihn halb.
    »Ich will schlafen«, sagt er.
    »Schlafen?«, wiederhole ich.
    »Cusca, cusca, cusca«, stöhnt der Mensch-Mer-Krake. »Ich habe nie jemand wehgetan. Ich habe nichts getan. Ich will jetzt wieder schlafen.«
    »Dann schlaf«, sagt Conor. »Schlaf tausend Jahre lang, Krake.«
    »Aber vielleicht habe ich schlimme Träume«, stöhnt der Krake.
    »Die Vogelbeeren werden dich einschlafen lassen«, sage ich. Die Wörter kommen mir über die Lippen wie Wiegenlieder, die ich vor Jahren vergessen hatte. »Du wirst keine Albträume haben. Du wirst hier sicher im Dunkeln sein. Cusca cusca cusca, Krake. Zeit, um zu schlafen.«
    Ich verleihe meiner Stimme einen so sanften Klang, als würde ich ein kleines Kind ins Bett bringen. Die Vogelbeeren leuchten heller als je zuvor und brennen in meiner Handfläche. Ich strecke meine Hand weiter aus und berühre den Kraken mit den Vogelbeeren.
    Das Maul des Kraken weitet sich zu einem schwarzen Loch. Es ist eine riesige, dunkle Öffnung ohne Inhalt. Ein Nichts. Das kreisförmige Maul weitet sich. Es ist jetzt so groß wie ein Fußball, stülpt sich nach außen und nimmt alle monströsen Gestalten des Kraken in sich auf. Eine schwarze Höhle, die vom Rest des Kraken wie von einem dünnen Rand umgeben wird. Dünner und dünner wird dieser Rand, wie ein Gummiband, das zum Zerreißen gespannt ist. Schließlich fängt das große, schwarze Maul an zu beben, ehe es den Kraken verschluckt.
    Wird er noch mal zurückkommen? Wir rechnen schon damit, dass jeden Moment die grässliche Garnele erscheint, um uns erneut zu verhöhnen.
    Sekunden vergehen. Dann verschmilzt das schwarze Maul ganz langsam mit der Finsternis, die es umgibt. Der letzte Schimmer des Kraken verlischt. Wir befinden uns wieder im absoluten, tröstlichen Dunkel der Tiefe.
    »Er ist weg«, sagt Conor.
    »Ja, er ist weg«, bestätigt Faro.
    Nach einer langen Pause fügt Faro mit veränderter Stimme hinzu: »Ich hoffe, dass er welche kriegt.«
    »Was meinst du?«
    »Na, Albträume! Ich hoffe, er kriegt jede Menge Albträume.«
    Conor und ich sagen kein Wort. Wir haben keine Energie mehr. Der Krake ist verschwunden, doch noch können wir unseren Triumph nicht genießen – noch nicht. Wir sind allein in der Tiefe, Hand in Hand. Das einzige Licht kommt von den Vogelbeeren in meiner Hand, doch als ich einen Blick auf sie werfe, hören sie auf zu leuchten, als wüssten sie, dass ihre Arbeit erledigt ist. In tiefstem Dunkel bleiben wir zurück.

Fünfzehntes Kapitel

    W ir müssen auf den Wal warten«, flüstere ich schließlich.
    »Bist du sicher, dass sie zurückkommt?«
    Ich versuche, die andere Möglichkeit zu verdrängen. Natürlich wird sie zurückkommen. Ich bin doch ihre Freundin, ihr kleiner Nacktfuß …
    Meine Gedanken stocken. Der Wal und ich sind uns nur zwei Mal begegnet. Vielleicht hat sie uns vergessen, sobald sie an die Oberfläche gekommen ist. Oder sie hat sich für andere Gewässer entschieden, wo es mehr Riesentintenfische gibt, die sie fressen kann. Schließlich sind wir nicht ihre Kinder. Conor und ich sind Menschen, Faro ist ein Mer. Sie hat keinen Grund, sich uns gegenüber loyal zu verhalten.
    Überhaupt keinen Grund. Doch fühle ich mich ihr eng verbunden und spüre auch jetzt ihre beschützende Gegenwart. Ich vertraue ihr. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie uns im Stich lassen würde.
    »Natürlich kommt sie zurück«, sage ich mit Überzeugung.
    Wir müssen einander an den Händen halten. Wer in der Tiefe davontreibt, ist für immer verloren. Der Gedanke daran bereitet mir Schwindel, als stünde ich an der Kante eines Abgrunds, während der Boden unter meinen Füßen zu bröckeln beginnt.
    Festhalten . Faro greift um Conors Handgelenk, hilft ihm. Wir halten uns eng aneinander, wie Schiffbrüchige auf einem winzigen Eiland in

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