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Nixenfluch

Nixenfluch

Titel: Nixenfluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Dunmore
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rütteln. Wie in einem Albtraum sehe ich Conor davontreiben, mit ausgestreckten Armen, die vergeblich versuchen, Faro und mich zu erreichen. Immer weiter treibt er fort, bis wir ihn schließlich weder hören noch sehen können. So wird er für alle Zeiten durch die Felsen und Furchen der Tiefe treiben, bis eines Tages selbst seine Knochen verschwunden sein werden.
    Mit größter Mühe befreie ich mich aus dem engmaschigen Netz des Traumes, packe Conor an der Schulter und schüttele ihn so fest ich kann. »Wach auf, Conor, wach auf!«
    »Schon gut, Saph. Ich bin doch wach. Kannst du dem Wal nicht sagen, er soll sich ein bisschen beeilen?«
    Natürlich kann ich das nicht. Der Wal ist so riesig und ich so winzig. Ich habe nicht die geringste Macht über sie.
    Dabei wünsche ich mir nichts sehnlicher, als dass sie endlich hier wäre. Dass ich ihre schartige Haut berühren, ihre mächtige Flanke hinaufschwimmen und ihre Stimme hören könnte. Selbst der schlechteste Witz der Welt wäre mir willkommen. Welche Wale trinken zu viel? Die Blauwale. Und wie nennt man das, was du uns versprochen hast? Ein Walversprechen. Wenn du nicht kommst, ist das Walbetrug. Na, sind die schlecht genug für dich, lieber Wal?
    Die Tiefe gerät in Bewegung. Das Wasser wogt und schäumt, als hätte ein Meeresbeben eine riesige Welle erzeugt. Verzweifelt klammern wir uns aneinander, während wir hin und her geworfen werden.
    »Hallo, kleiner Nacktfuß.«
    »Wal!«
    »Schnell, Kleine, geh hinter meiner Flosse in Deckung. Und deine Begleiter bitte auf die andere Seite.«
    »Aber wir können uns jetzt nicht trennen. Sonst verlieren wir uns.«
    »Ich muss aber mein Gleichgewicht halten, wenn ich euch sicher durch die Berge transportieren soll.«
    »Wir müssen zusammenbleiben, bitte!«
    Die Stimme des Wals grummelt ungeduldig. »Wir haben jetzt keine Zeit für Diskussionen. Ich muss wieder an die Luft. Hört zu, ich kann euch auch in meinem Mund mitnehmen.«
    »In deinem …«
    »Schnell. Ein Riesentintenfisch hat mich angegriffen, als ich hierher kam. Der wartet bestimmt, dass ich wieder bei ihm vorbeikomme. Die werden hier unten ganz schön frech, diese Biester.«
    Aber wie können wir zu ihr in den Mund gelangen? Vielleicht verschluckt sie uns versehentlich. Dann ergeht es uns wie Jona in der Geschichte mit dem Wal. Leider kann ich mich nicht mehr an das Ende erinnern. Irgendwie muss Jona wieder herausgekommen sein, sonst wäre es ja keine berühmte Geschichte, aber wie?
    »Wir tun, was sie sagt«, mischt sich Faro ein. »Sie wird uns schon nicht verschlucken.«
    »Bist du sicher?«
    »Wie soll ich da sicher sein? Aber wir sterben mit Sicherheit, wenn wir noch länger hierbleiben. Und auf die andere Seite finden Conor und ich in der Dunkelheit auch nicht.«
    Ein Riesentintenfisch . Lieber will ich im Mund des Wals sein als einem Riesentintenfisch begegnen. Da riskiere ich es sogar, verschluckt zu werden.
    *
    Wir spüren die gewaltige Bewegung des Wals, als sie eine neue Position einnimmt. Sie weiß genau, wo wir sind. Wasser wirbelt auf, dann dröhnt ihre Stimme so laut und nah, als wären wir bereits in ihrem Mund. »Mein Mund ist offen. Schwimmt einfach geradeaus.«
    Faros Schwanzflosse treibt uns an. Ich bin kaum noch in der Lage, meine Beine zu bewegen. Ich bin so müde und habe eine solche Angst. Wie Jona werden wir innerhalb des Wals reisen. Ich versuche mich zu erinnern, wie das Innere ihres Munds aussieht. Sie hat nur eine Zahnreihe, das weiß ich noch, die in ihrem Unterkiefer sitzt. Mit diesen Zähnen könnte sie einen Riesentintenfisch in Stücke reißen.
    »Dir wird nichts passieren, Kleine.«
    Ich spüre genau den Moment, in dem wir die Grenze zu ihrem aufgeklappten Kiefer überqueren. Alles verändert sich. Wir sind nicht mehr im Bereich der Tiefe, sondern im Bereich ihres Körpers.
    Die riesige Höhle ihres Mundes riecht leicht nach vergammeltem Fisch. Doch ich versuche, den Geruch zu ignorieren. Jedenfalls käme es mir ziemlich unverschämt vor, jemand für seinen Mundgeruch zu kritisieren, der sich alle Mühe gibt, uns das Leben zu retten.
    Wir reden nur im Flüsterton miteinander, doch es hallt wie in einer Kathedrale.
    »Alles in Ordnung, Conor? Faro?«
    »Mit geht’s glänzend«, antwortet Conor nach einer kurzen Pause. »Bist du so auch letztes Mal aus der Tiefe herausgekommen, Saph? In ihrem Mund?«
    »Nein, aber letztes Mal war ich auch nicht so weit unten.«
    »Du warst also auch noch nie in ihrem Mund?«
    »Nein,

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