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Nixenfluch

Nixenfluch

Titel: Nixenfluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Dunmore
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dem Kopf des Wals, nahe an ihrem rechten Auge. Conor und Faro schwimmen auf der anderen Seite. Wir haben die Tiefe verlassen. Sobald wir in Sicherheit waren, öffnete der Wal seine Kiefer, und wir schwammen wie betäubt hinaus in das offene Wasser.
    Wir sind in Indigo. Die Tiefe befindet sich weit unter uns, wie ein riesiger Schatten. Allein der Blick hinab lässt mich schaudern. Wir sind immer noch ein gutes Stück von der Oberfläche entfernt, aber die Tiefe, in deren Felsspalten Riesentintenfische lauern, kann uns nichts mehr anhaben.
    Der Wal schwimmt sehr langsam voran.
    »Bist du schwer verletzt, lieber Wal?«
    »Halb so schlimm, Kleine.«
    »Du hättest den Tintenfisch mit deinen Zähnen bekämpfen sollen.«
    Die Stimme des Wals klingt fröhlich, aber schwächer als sonst. »Den hat’s schlimmer erwischt als mich. Ich hab ihm einen Schlag mit meiner Schwanzflosse verpasst, den er so schnell nicht vergessen wird. Wie hätte ich denn meine Zähne benutzen können, kleiner Nacktfuß, wenn du direkt dahinter warst?«
    »Vielen Dank, lieber Wal. Du hast uns allen das Leben gerettet. Meines zum zweiten Mal.«
    »Das war doch kein Problem«, entgegnet sie gleichmütig, als könnte sie das noch ein Dutzend Mal tun.
    »Entschuldige, dass ich frage, lieber Wal, aber warum … warum bist du so nett zu mir?«
    Und so vollkommen gleichgültig gegenüber Conor und Faro , könnte ich hinzufügen. Ich glaube, der Wal hat nicht ein einziges Mal mit ihnen gesprochen. Doch obwohl mich das auch interessiert, will ich nicht allzu neugierig sein.
    »Weil du mir gefällst, kleiner Nacktfuß«, antwortet sie. »Du erinnerst mich an die Vergangenheit. An die glücklichen Tage, als meine Kinder noch jung waren und meine Tochter unter meinem Kiefer und hinter meinem Rücken Verstecken gespielt hat.«
    Vielleicht hat sie mich also ausgewählt, weil ich im Gegensatz zu Faro und Conor ein Mädchen bin, denke ich.
    »Ich hoffe, es stört dich nicht, wenn ich dir noch eine Frage stelle, Wal, aber wo … wo ist deine Tochter jetzt?«
    Das Auge des Wals blickt in die Ferne. »Die ist weit weg, kleiner Nacktfuß, auf dem Grund der Welt. Dort ist sie in Sicherheit. Meine Herde wurde vor langer Zeit auseinandergerissen. Viele Tiere waren krank geworden und fanden nicht mehr den richtigen Weg. Sie konnten auch nicht mehr tauchen, um Futter zu suchen. Dafür schwammen sie in Flüsse hinein, in denen nie zuvor ein Wal gewesen ist, und dort starben sie dann. Mein Sohn hatte mich längst verlassen und sich den anderen jungen Bullen angeschlossen – so ist das eben. Meine Tochter blieb bei mir, wie das bei uns Walen üblich ist. Normalerweise wäre sie bei mir geblieben, bis ich ihre Enkel kennengelernt hätte, aber da war diese Krankheit. Niemand wusste, woher sie gekommen war. Auch meine Tochter wurde krank, starb aber nicht daran. Ich habe mich Tag und Nacht um sie gekümmert. Weißt du, dass Wale ertrinken können, Kleine, wenn sie zu krank und schwach sind, um an die Oberfläche zu kommen?«
    »Nein, das wusste ich nicht.« Ich stelle mir vor, wie sie darum gekämpft hatte, dass ihre Tochter nicht in die unermessliche Tiefe sank …
    »Ich habe meine Schwestern herbeigerufen, damit sie nach Futter für sie tauchen«, fährt der Wal fort. »Und schließlich erholte sie sich. Doch habe ich nicht gewagt, sie hierzubehalten und das Risiko einzugehen, dass sie noch mal krank wird. Deshalb habe ich sie mit ihren Cousins fortgeschickt, so weit von der Krankheit weg wie möglich, zum Grund der Welt. Aus unserer Herde waren schon zu viele gestorben.«
    »Aber hättest du dich ihnen nicht auch anschließen können?«, frage ich.
    »Dazu bin ich zu alt. Ich muss hierbleiben. Ich bin glücklich, dass sie in Sicherheit ist und dass es ihr gut geht. Manchmal überbringen mir andere Wale, die den weiten Weg vom Grund der Welt zurückgelegt haben, eine Nachricht von ihr. So traurig ist das also auch wieder nicht, kleiner Nacktfuß. Du hast mir gleich gefallen, als ich dir das erste Mal in der Tiefe begegnet bin, weil du mich an meine Tochter erinnert hast. Doch jetzt liebe ich dich, weil du so bist, wie du bist.«
    Nie zuvor hat jemand so etwas zu mir gesagt. Ich strecke meine Hand aus und berühre ihre runzlige Haut. »Ich frage mich, ob Elvira deine Wunden heilen könnte, lieber Wal.«
    »Mit der Zeit werden die sowieso heilen. Wir Wale sind stark. Um uns zu besiegen braucht es mehr als einen Tintenfisch. Ein paar Kratzer machen uns nichts aus, meine Kleine.

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