Nixenfluch
Die erinnern uns an die siegreichen Kämpfe, die wir bestritten haben.«
Ihr Worte dringen tief in mein Bewusstsein ein. Ich wünschte, ich wäre so gelassen und stark wie sie.
Langsam, aber stetig schwimmen wir in seichtere Gewässer. Unter der Oberfläche ist es hell. Vielleicht ist es immer noch derselbe Tag. Ich habe das Gefühl, als sei ich endlose Tage in der Tiefe gewesen, doch vielleicht ist nicht mehr als eine Stunde vergangen.
»Eines Tages, kleiner Nacktfuß, wirst vielleicht auch du zum Grund der Welt gelangen und meiner Tochter begegnen«, überlegt sie, »wenn du alt genug bist, um die große Reise zu machen.«
»Aber wie kann ich das tun?«
»Mach dir darüber jetzt keine Gedanken, meine Kleine«, sagt der Wal mütterlich. »Das wirst du sehen, wenn es so weit ist.«
Es ist so frustrierend, immer nur mit Andeutungen abgespeist zu werden, aber ich will jetzt nicht streiten. Will nicht aufhören, mich in der traumgleichen Gegenwart des Wals geborgen zu fühlen. Wir haben gemeinsam einen Orkan überstanden. Wir sind der Tiefe entronnen. Wir haben überlebt.
Und vor allem: Der Krake schläft wieder. Cusca, cusca, cusca, Krake. Cusca, cusca, cusca, Krake. Schlaf tausend Jahre lang. Schlaf für immer. Wach nie wieder auf …
»Schau mal da vorne, Saph!«, ruft Conor. Er und Faro schwimmen mir entgegen. »Die Delfine kommen!«
»Und die Mer!«, ruft Faro. »Sieh dir das an, kleine Schwester, meine Leute kommen!«
*
Die letzte Etappe der Reise werde ich nie vergessen. Die Delfine und die Mer müssen schon lange auf uns gewartet und verzweifelt auf unsere Rückkehr gehofft haben. Sie bleiben in sicherer Distanz, als der Wal den Wasserspiegel durchbricht. Dann schließen sie zu uns auf und schwimmen wie eine Ehrengarde neben uns her, während unser Wal langsam vorwärtsgleitet. Von den Wunden in ihrer Flanke rinnt das Blut ins klare Wasser. Die Delfine strotzen vor Leben, schießen an die Oberfläche und machen Freudensprünge.
Es ist ein wunderbares Schauspiel, den Sprung eines Delfins von unten zu betrachten. Ich sehne mich danach, auf einem von ihnen zu reiten, doch ich kann den Wal jetzt nicht allein lassen, nach allem, was sie für uns getan hat. Die Mer bleiben unter der Wasseroberfläche, ihre Haare hinter sich herziehend. Ihre Gesichter leuchten in der Helligkeit des sonnendurchfluteten Wassers.
»Komm, Sapphire! Die Delfine wollen, dass wir auf ihnen reiten!«, ruft Faro.
Die Delfine sind so wunderbar. Vielleicht kann ich doch einen kurzen Ritt wagen. Der Wal wird das sicher verstehen.
Sie hat mir letztes Mal erzählt, dass Delfine viel klüger als Wale sind. Klüger, verspielter und hübscher. Sie versteht absolut, warum ich bei ihnen sein will – und versucht, sich damit abzufinden, was ihr aber nicht ganz gelingt.
»Geh mit ihnen. Sie transportieren dich schneller«, sagt der Wal.
»Ich bleibe bei dir.«
Conor zögert einen Moment. Dann sagt er: »Bedank dich in unserem Namen, Saph. Du sprichst ihre Sprache.«
»Sag du’s ihr, Con.«
Conor räuspert sich. Fast sieht er verlegen aus, was bei ihm ziemlich selten vorkommt. Für einen kurzen Moment sehe ich den Wal mit Conors Augen – nicht als ein lebendiges Wesen, sondern als zerklüfteten Berg.
»Wir sind dir so dankbar«, sagt er schließlich. »Ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr. Wir alle wissen, dass du uns das Leben gerettet hast.«
Er zögert erneut. Langsam senkt der Wal als Zeichen des Einverständnisses seinen massigen Kopf. Damit ist Conor entlassen und schwimmt den Delfinen entgegen.
Im nächsten Moment sehe ich sie beide, Conor und Faro, triumphierend auf den Rücken der Delfine sitzen, wie junge Krieger, die hoch erhobenen Hauptes aus der Schlacht heimkehren. Die Mer folgen ihnen, angetrieben von den kraftvollen Schlägen ihrer Schwanzflossen. Ich lasse meinen Blick wandern, kann aber nirgends Ervys, Talek und Mortarow erblicken. Ich frage mich, wie es Ervys gefällt, dass wir wohlbehalten aus der Tiefe zurückgekehrt sind und Saldowrs Auftrag erfolgreich ausgeführt haben. Er sollte sich darüber freuen, weil die Macht des Kraken gebrochen ist und die Mer-Kinder in Sicherheit sind. Doch irgendwie zweifle ich daran, dass wir mit Ervys’ Dank rechnen können.
Faro ruft mir über die Schulter zu: »Die Wälder von Aleph, Sapphire! Wir sind fast zu Hause.«
Die Delfine legen sich ins Zeug wie Pferde beim Anblick der Ziellinie. Faro strahlt über das ganze Gesicht. »Beeil dich, kleine Schwester, sonst
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