Nixenfluch
dasselbe tun , denke ich und habe recht. Doch Saldowr scheint das auch nicht zu erwarten. Mit vor Fröhlichkeit blitzenden Augen nimmt er Conors Hand in seine, ehe er sich mir zuwendet.
»Du hast Großes getan, myrgh kerenza«, sagt er, während er sorgfältig mein Gesicht mustert. Ich spüre die Kraft, die von ihm ausgeht. Es ist nicht die furchterregende destruktive Energie, von der all die veränderlichen Gestalten des Kraken erfüllt waren, doch ist sie genauso stark.
»So hat mich auch der Krake genannt«, entgegne ich.
Saldowr nickt nachdenklich. »Der Krake hätte nicht so viel Macht über uns, wenn er weniger von uns wüsste«, stellt er fest. Seine Augen sind von Gedanken getrübt, denen ich nicht folgen kann.
»Was meinst du damit?«
»Ich meine damit, dass der Krake weiß, wer wir sind. Er kennt unsere Ängste. Er kennt unsere Schwächen und spielt damit. Er ist uns ähnlich genug, um das tun zu können.«
Ich denke an die letzte Gestalt, die der Krake annahm, bevor er in der Höhle seines eigenen Mauls verschwand. »Saldowr, ist der Krake … war er mal ein Mer?«
Ein ungläubiges Raunen kommt von den Mer, die einen Kreis um uns gebildet haben. Saldowr bringt sie mit einem gebieterischen Blick zum Schweigen.
»Ich glaube, dass im Kraken auch etwas von einem Mer steckt«, sagt er, »und vielleicht sogar etwas vom Blut deiner eigenen Leute.«
Ich schaudere. Ein Monster soll auch ein Monster bleiben. Jedenfalls will ich mir nicht vorstellen, dass der Krake so ist wie wir. Oder noch schlimmer, dass wir so sind wie er.
»Der Krake schläft jetzt«, sagt Faro, wirft seine Haare zurück und sieht aus wie ein junger Krieger, der vom Triumph seiner ersten Schlacht berichtet. »Der wird uns in den nächsten tausend Jahren keine Schwierigkeiten mehr bereiten.«
Saldowr runzelt ein wenig die Stirn. »Hüte dich vor der Hybris, mein Sohn. Es sollte dir reichen, dass du den Kraken bekämpft und besiegt hast.«
Faro beugt sein Haupt, akzeptiert den Tadel. Conor und ich werfen uns verstohlene Blicke zu. Ich weiß zwar nicht, was Hybris bedeutet, doch es hörte sich nicht wie ein Kompliment an. Da hat Faro in der Tiefe sein Leben riskiert und Saldowr ist immer noch nicht zufrieden mit ihm. Manchmal sind die Mer so – so starrsinnig.
Saldowr lächelt. Die Anspannung verfliegt. »Ihr habt Großes geleistet, ihr alle«, sagt er. »Die Mer haben allen Grund, euch dankbar zu sein.«
Ein zustimmendes Gemurmel kommt von den versammelten Mer. »Selbst Ervys«, fährt Saldowr gelassen fort und lässt erneut seinen gebieterischen Blick in die Runde schweifen, »selbst Ervys hat allen Grund, diesen Kindern zu danken. Aber wo ist er? Ist Ervys nicht hier, um mit uns zu feiern? Ihm liegt das Schicksal der Mer doch so am Herzen, dass ich sicher war, er würde sich uns freudig anschließen.«
Einige der jungen Mer, die ganz vorne sind, sehen sich lächelnd an. Ich spüre bereits, wie Ervys’ Macht über sie nachlässt. Saldowr hat gewonnen , denke ich frohlockend. Er wird wieder ganz gesund werden, die Mer anführen und …
Aus dem Augenwinkel heraus sehe ich, wie die Delfine im hellen Wasser über den Wäldern herumtollen. Ich hoffe, dass die Haie niemals zurückkehren, um ihre Patrouille wieder aufzunehmen. Die Delfine sind so intelligent, liebenswert und wunderschön. Doch vermutlich muss eine solche Arbeit von Haien gemacht werden. Mein Kopf fühlt sich schwer an. Die Müdigkeit rollt über mich hinweg wie eine plötzliche Flutwelle. All die Angst, all das Warten, die Grausamkeit des Kraken, die Schrecken der Tiefe, die saugenden Tentakel des Riesentintenfischs … All meine Energie ist aufgebraucht. Ich bin völlig ausgelaugt. – Wie dumm von mir! Wahrscheinlich werde ich nie wieder solch einen Moment des Triumphs erleben, und ich will nichts als schlafen.
Jemand hält mir einen Becher an die Lippen. Es ist eine junge Mer-Frau mit langen roten Haaren und grünen Augen, die diesen typisch silbrigen Schimmer haben. Sie nickt und lächelt mich aufmunternd an. »Trink, dann wirst du dich besser fühlen.«
Das Getränk leuchtet wie ein geschmolzener Saphir. Ich trinke einen Schluck und es prickelt in meinem Mund. Ich trinke noch mal. Meine Erschöpfung zieht sich zurück wie das Meer bei Ebbe. Plötzlich fühle ich mich, als sei ich an einem strahlend hellen Morgen ausgeschlafen erwacht. Ich genehmige mir einen weiteren tiefen Schluck, dann will die Mer-Frau den Becher an Conor weiterreichen. Doch der schüttelt
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