Nixenfluch
Meter von ihm entfernt ist. Faro und Conor. Dass sie getrennt voneinander schwimmen, ist kein Zufall. Conor muss nicht um seine Atmung kämpfen. Er bewegt sich nun selbstständig und kraftvoll durchs Wasser.
»Conor!«
Er dreht mir den Kopf zu. Er sieht ganz normal aus, weder blass noch gequält oder blau um die Lippen. Den Sauerstoff bezieht er direkt aus dem Wasser, so wie Faro und ich das tun.
»Du hältst dich ja gar nicht mehr an Faros Handgelenk fest!«
»Ist doch super, oder?«
Ich kann es immer noch nicht glauben. Conor schwimmt ohne fremde Hilfe und scheint sich in Indigo jetzt genauso heimisch zu fühlen wie ich. Aber warum, nach all der Zeit? Etwas muss sich verändert haben, aber was?
»Das liegt bestimmt an dem Talisman, den meine Schwester gemacht hat«, sagt Faro.
»Nein, daran kann es nicht liegen«, widerspreche ich. »Den hat Conor auch schon getragen, bevor wir in der Tiefe waren, und da musste er sich trotzdem an dir festhalten.«
Faro zuckt die Schultern. Er hält die Hände auf dem Rücken zusammen und wird allein von seiner Schwanzflosse durchs Wasser getrieben. »Was soll’s«, sagt er gleichgültig, so wie Leute das tun, die eine Diskussion beenden wollen, weil sie die schlechteren Argumente haben.
»Ist alles okay, Conor?«, frage ich besorgt. »Fühlst du dich gut?«
»Ich fühle mich großartig«, antwortet er und schüttelt ungläubig den Kopf. »Warum hast du mir nie erzählt, wie fantastisch sich das anfühlt? Ich versuch das mal, was du machst, Faro.«
Er legt seine Hände auf den Rücken, führt sie dort zusammen und beginnt damit, sich von der Hüfte abwärts wie Faro zu bewegen. Seine Beine geschlossen, die Füße zusammengepresst, sieht es fast aus …
… als hätte Conor eine Schwanzflosse. Und wie schnell er ist! Zu schnell. Ich kann kaum noch mithalten.
»Conor, hör auf damit!«
»Was ist los, Saph?«
»Ich will nicht, dass du so schwimmst.«
»Aber das macht wahnsinnig Spaß. Man ist auch viel schneller so. Ich frage mich, warum ich das nicht längst ausprobiert habe. Als hätte man Flossen …«
Ich setze ihm nach. »Vielleicht hat es so auch bei Dad angefangen, Con. Vielleicht hat er das auch mal ausprobiert und konnte schließlich gar nicht mehr so schwimmen wie früher. Vielleicht ist das ein Teil der … der Verwandlung .« Ich flüstere, damit Faro mich nicht hört. Der wäre bestimmt tödlich beleidigt. Was könnte es denn Schöneres geben, als sich in einen Mer zu verwandeln?
»Ach komm schon, Saph. So was wird mir nicht passieren. Außerdem wächst dir viel eher eine Schwanzflosse als mir.«
»Stimmt schon, Con, aber bitte tu das nicht mehr. Bitte!«
»Warum bist du denn so nervös? Du weißt, dass ich niemals ein Mer werde. Aber wenn’s dich glücklich macht …« Conor streckt seine Arme nach vorn und beginnt gemächlich zu kraulen. Ich atme unwillkürlich auf.
»Wie nennt man diese Art zu schwimmen, Conor?«, fragt Faro betont beiläufig. Ich vermutete einen Hintergedanken in dieser Frage.
»Das nennt man kraulen.«
»Kraulen … was bedeutet das genau?«
»Das bedeutet, dass man sich bewegt wie … wie …« Ich überlege, ob mir ein Meeresbewohner einfällt, von dem man annähernd sagen könnte, dass er krault. »Ach, ich weiß nicht, Faro, das ist eben eine bestimmte Schwimmtechnik.«
» Schwimmtechnik , wie interessant. Wir Mer schwimmen einfach.«
Conor ist immer noch so begeistert darüber, dass er sich selbstständig durch Indigo bewegen kann, dass er Faros ironischen Unterton nicht wahrnimmt. Zum ersten Mal fühlt er sich Indigo wirklich zugehörig. Ich denke an den Tag vor zwei Jahren zurück, als ich zum ersten Mal Faros Handgelenk losließ und wusste, dass ich allein unter Wasser überleben konnte. Conor hat recht. Das ist ein berauschendes Gefühl. Es verändert einen.
»Danke, Faro!«, ruft Conor.
»Wofür?«
»Für all die Male, die du auf mich aufgepasst hast. Jetzt brauchst du das nicht mehr.«
»Nein, jetzt bist du mein Bruder«, entgegnet Faro. Seine Stimmung scheint sich vollkommen gewandelt zu haben. Plötzlich ist er sehr ernst. »Du bist mein Bruder und Sapphire ist meine Schwester. Das, was wir in der Tiefe erlebt haben, hat uns für immer miteinander verbunden. Unsere Leben waren voneinander abhängig, und niemand hat den anderen im Stich gelassen.«
»Würde ich auch nie tun«, sagt Conor.
Und er hat recht. Conor hat so eine große innere Stärke. Selbst in der Schule würde er niemals über andere Leute
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