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Nixenfluch

Nixenfluch

Titel: Nixenfluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Dunmore
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wie ich das vergessen konnte.«
    Ich kenne die Antwort. Ihr Mer-Blut hat sie hierher gelockt. Es hat sie zur Bucht geführt, statt ins Haus von Granny Carne.
    »Ihr seid wahnsinnig weit rausgeschwommen«, fährt Gloria fort. »Dabei ist die Küste hier doch so gefährlich.«
    »Ist sie auch«, räumt Conor ein, »aber Saph und ich kennen die Strömungen.«
    »Zieht ihr eure Sachen zum Schwimmen denn nie aus?«, fragt Gloria lachend.
    »Äh, nein, das ist … wärmer so.«
    Ich wünschte, ihr Ehemann würde jetzt auftauchen, um sie abzuholen. Wie leichtsinnig von ihm, Gloria hier abzusetzen. Was ist, wenn das Wetter umschlägt und er sie nicht mehr mit dem Boot abholen kann? Die Leute aus dem Inland machen sich keine Vorstellung davon, wie schnell hier das Wetter wechselt. Gloria könnte von den Gezeiten eingeschlossen werden. Und mit ihren Krücken hätte sie keine Chance, sich auf den Klippen in Sicherheit zu bringen.
    »Du solltest unbedingt zu Granny Carne gehen«, sagt Conor mit Nachdruck. Gloria starrt ihn an. Man sieht förmlich, wie es hinter ihrer Stirn arbeitet. Jeden Moment kann sie uns die Frage stellen, die wir unbedingt vermeiden wollen …
    »Da kommt das Boot!«, rufe ich erleichtert aus.
    »Wo?«
    »Na, dort, wo ich hinzeige.«
    »Ja, ich sehe es.« Gloria stützt sich auf ihre linke Krücke und schwingt die rechte über ihren Kopf. »Richard! Richard!«
    Ihre Augen leuchten, als hätte jemand darin ein Licht angeknipst. Sie muss ihn wirklich lieben. Also im Vergleich zu Dad oder selbst Roger kommt er mir ja ziemlich langweilig vor, mit seinem öden Schreibtischjob in Exeter und seiner blassen Stadthaut. Ein netter Langweiler.
    Er benutzt nicht den Motor, sondern rudert die Seagull , die mit Leichtigkeit über die Wellen gleitet. Rudern kann er, das muss man ihm lassen. Hoffentlich weiß er auch, wie schwierig es ist, bei diesem Wasserstand am Anleger festzumachen. Offenbar weiß er es, da er nicht mal einen Versuch unternimmt. Und im nächsten Moment begreife ich auch, warum. Weil Gloria nicht in der Lage wäre, die Leiter zu benutzen. Er blickt sich über die Schulter, sieht Gloria mit der Krücke winken und winkt lachend mit einem Ruderblatt zurück. Wenn er lacht, sieht er gleich etwas weniger langweilig aus.
    Plötzlich werde ich von einer enormen Freude erfasst, dass sie immer noch hier ist und auf ihn wartet. Indigo hat sie nicht zu sich gezogen. Ich werde sie davon abhalten, die Bucht ein weiteres Mal aufzusuchen. Ich werde mit Granny Carne reden.
    *
    Sie sind verschwunden. Die leuchtende See liegt wieder unberührt da. Ich wollte noch bleiben, bis die Seagull außer Sichtweite war, obwohl sich Conor nichts sehnlicher wünscht als eine heiße Dusche. Aber ich wollte die Bucht wieder ganz für uns haben.
    »Komm, Saph. Mum kommt bald von der Arbeit zurück.«
    Es muss immer noch derselbe Tag sein, sonst hätte Gloria gewusst, dass wir vermisst werden. Mum wird denken, wir hätten den ganzen Tag in der Bucht verbracht.
    Einen Schlag von hinten kann man nicht sehen, doch spüre ich für den Bruchteil einer Sekunde, wie sich mir von hinten ein scharfer Luftzug nähert. Eine Möwe schießt auf mich herab und segelt so knapp über meinen Kopf hinweg, dass ihre Krallen wie ein Kamm durch meine Haare fahren. Sie berührt fast den Sand, ehe sie in die Höhe steigt, über dem Wasser ihre Flügel ausstreckt und in einem weiten Bogen wieder auf uns zusteuert. Plötzlich ist sie erneut hinter mir.
    »Saph, pass auf!«
    Die Möwe attackiert mich ein zweites Mal. Ich ducke mich und halte mir schützend die Arme über den Kopf, doch als die Möwe abdreht, sehe ich einen breiten Kratzer auf meinem Handrücken, aus dem das Blut sickert.
    »Bist du okay, Saph?«
    Ich zittere. »Sie … sie hat mich angegriffen.«
    »Schau, jetzt fliegt sie wieder auf das Meer hinaus.«
    Ich behalte sie im Auge, falls sie noch mal zurückkehren sollte, doch kurz darauf ist sie in der Ferne verschwunden.
    »Wahrscheinlich hat sie gedacht, dass du irgendwas zu essen hast«, sagt Conor. Wenn man in St. Pirans etwas unter freiem Himmel isst, fliegen die Möwen extra tief, weil sie hoffen, dass die Leute vor Schreck etwas für sie fallen lassen.
    Doch ich glaube nicht, dass es diese Möwe auf Futter abgesehen hatte. Ich schüttele ungläubig meine schmerzende Hand. Blut tropft in den Sand.
    »Schnell, wasch die Wunde in Salzwasser aus. Zu Hause können wir dann ein Pflaster draufmachen.«
    Ich sage nichts mehr, ehe wir die Klippen

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