Nixenjagd
um den Kopf und einen großen Pinsel in der Hand. Im leeren Flur stand ein Tapeziertisch.
»Was wollen Sie? Ich arbeite«, sagte sie nicht eben freundlich. »Ich möchte gerne mit Ihrem Sohn Paul sprechen«, sagte Petra. »Paul ist nicht hier. Er arbeitet bei meinem Bruder auf Usedom. Er kommt erst zum Schulanfang wieder.« »Darf ich reinkommen?«, fragte Petra. Frau Römer machte einen Schritt zur Seite und ließ die Kommissarin widerstrebend ins Haus. »Ich habe nicht viel Zeit. Worum geht es?« Sie standen noch immer im Flur. Weiter wollte die Hausherrin sie offenbar nicht vorlassen. »Sagt Ihnen der Name Solveig Koller etwas?« Frau Römer holte tief Atem und sagte: »Ein Mädchen, das mit Paul befreundet war. Sie ist mit dem Fahrrad tödlich verunglückt.« »War sie eine Freundin oder seine Freundin?« Eine steile Falte bohrte sich zwischen ihre hellen Augen. »Sie kannten sich eben, von der Schule.« Sie rollte eine Tapete aus und zog eine Linie mit dem Teppichmesser. Die Tapete rollte sich vom hinteren Ende her wieder auf. Petra strich sie glatt und hielt sie fest, während Frau Römer den Pinsel in den Eimer mit dem Leim tauchte und die Bahn damit einstrich. »Viel Arbeit, was?«, meinte Petra. »Ja. Aber was Besseres kann ich mir nicht leisten. Wie Sie sicher wissen, ist mein Mann vor zwei Jahren gestorben. Seitdem müssen wir sehen, wie wir mit nur einem Gehalt zurechtkommen.« »Darf ich fragen, woran ihr Mann gestorben ist?« »Ein Gehirntumor. Zwischen der Diagnose und seinem Tod lagen gerade mal sechs Monate«, sagte sie nüchtern, aber Petra konnte an ihrem Gesicht erkennen, dass der Schmerz noch da war. Was musste es für eine höllische Zeit für eine Familie sein, wenn man wusste, dass der Vater nur noch kurze Zeit zu lebe n hatte? Hatten die Kinder von Anfang an Bescheid gewusst ? »Das tut mir leid«, sagte Petra . »Warum wollen Sie Paul schon wieder sprechen? « »Es sind zwei Mädchen zu Tode gekommen, die Ihren Sohn gekannt haben... « »Na und? Das ist ein Zufall. Lassen Sie Paul in Ruhe. Der ha t nichts damit zu tun. « »Da bin ich mir nicht so sicher«, gab Petra zurück . »Dieses andere Mädchen, das hat er doch gar nicht gekannt!« , rief Frau Römer erbost . »Sie sprechen von Katrin Pankau? « »Ja. « »Immerhin hat sie die Stunden vor ihrem Tod in seinem Zel t verbracht. « Frau Römer biss sich stumm auf die Unterlippe . »Haben Sie das Mädchen gekannt? « »Ich? Nein. Woher sollte ich? « »War sie nie hier, hat sie nie angerufen ? »Nein, sie war nie hier. Und von Anrufen weiß ich auc h nichts. « »Und Solveig Koller? War die mal bei Ihnen zu Hause? « »Nicht, dass ich wüsste. « Sie schlug die eingeleimte Tapete an beiden Enden ein und tru g den Streifen ins Wohnzimmer . Petra folgte ihr unaufgefordert. Eine Wand war frei gemach t worden und schon zur Hälfte mit einer eierschalenfarbenen Tapete beklebt. Das dezente Muster aus blumigen Ornamente n verlieh dem einfachen Zimmer einen Hauch von Extravaganz . Ohne Zweifel besaß Pauls Mutter Sinn für Gestaltung. Petra , deren Einrichtung zum überwiegenden Teil aus Ikea-Möbel n bestand, sah sofort, dass die Möbel der Römers ungleich kostspieliger gewesen waren. Doch das Wohnzimmer des Häuschens war zu klein für das Designer-Sofa, die Anrichte aus Mahagoni-Holz und die expressionistischen Bilder. Während Frau Römer die Tapete mit einer Bürste an der Wand glatt strich, sagte die Kommissarin: »Es wäre gut, wenn ich so rasch wie möglich mit Paul sprechen könnte. Notfalls kommt meine Abteilung für die Fahrtkosten auf. Ich erwarte ihn spätestens Anfang nächster Woche bei mir im Dezernat.« Frau Römer ließ die Bürste sinken und wandte sich um. »Dass eines klar ist: Mein Sohn wird nur noch im Beisein eines Anwalts mit Ihnen oder Ihren Kollegen sprechen.« Ihre Stimme war so eisig wie ihr Blick. Vom Flur her näherten sich Schritte. »Was ist denn los, Mama?«, fragte ein Mädchen. Sie trug farbbespritzte Jeans und ein altes T-Shirt, ebenfalls voller Farbe. »Nichts, geh wieder rauf«, sagte Frau Römer kurz angebunden. »Du bist Alexandra, nicht wahr?«, sagte Petra. Das Mädchen nickte. Im Vergleich zu ihrem älteren Bruder war sie weit weniger attraktiv. Etwas Grobes, Plumpes haftete ihr an. »Kanntest du Katrin Pankau?« »Nö.« »Und Solveig Koller?« »Das reicht, Frau Gerres. Ich möchte Sie bitten zu gehen. Wenn Sie mit meinen Kindern sprechen möchten, dann machen Sie einen Termin und ich werde meinem
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