Nixenjagd
Franziska hatte nur sehr vage Vorstellungen davon, was er dort den ganzen Tag machte. Ihre Mutter dagegen erzählte fast jeden Tag Anekdoten aus der Rundfunk-Redaktion, außerdem lagen überall im Haus die Spuren ihrer Arbeit, Bücher, Zeitschriften und Manuskripte. Franziska hörte Schritte auf der Treppe und griff schnell nach einem Buch auf dem Nachttisch. Ihre Mutter öffnete die Tür. Bruno drängelte an ihr vorbei und hechtete aufs Bett. »Runter«, befahl Franziska halbherzig. Der Hund machte es sich auf dem Kopfkissen gemütlich. »Tschüss Franziska, ich geh dann.« »Ist gut.« »Im Kühlschrank ist noch Nudelsalat für heute Mittag.« »Ist gut.« »Wer war das eben am Telefon?« »Niemand.« »Grüß den Niemand schön von mir«, lächelte Frauke Saalberg vielsagend und schloss die Tür. »Besser nicht«, flüsterte Franziska. Bis jetzt hatte sie noch nie schwerwiegende Geheimnisse vor ihren Eltern gehabt. Vor allem mit ihrer Mutter konnte man sich über die meisten Dinge des Lebens recht gut unterhalten. Die andernorts üblichen Mutter-Tochter-Konflikte hielten sich bei ihnen in engen Grenzen. Sie waren keine Freundinnen, Frauke Saalberg ließ niemals Zweifel aufkommen, dass sie in letzter Konsequenz die Autoritätsperson war. Aber sie war dabei nicht rechthaberisch und stand den meisten Dingen aufgeschlossen gegenüber. Nur einmal waren sie wegen einer Tätowierung ernsthaft aneinandergeraten. Frauke Saalberg hatte ihrer dreizehnjährigen Tochter diese Art des Körperschmucks schlichtweg verboten. Ihr Mann hatte sie darin unterstützt und Franziska war ihren Eltern inzwischen sehr dankbar dafür. Längst war der Satz Denk an das Arschgeweih zu einem geflügelten Wort in der Familie geworden und bedeutete so viel wie »Denk noch einmal nach, ehe du Dinge tust, die sich nicht rückgängig machen lassen«. Aber nun hatte Franziska zum ersten Mal das Bedürfnis, etwas Wichtiges zu verheimlichen. Sie konnte nicht sagen, warum, aber sie ahnte, dass ihre Eltern die momentane Entwicklung der Dinge nicht unbedingt gutheißen würden. Franziska überlegte. Sie musste sich wohl oder übel wieder mit Oliver vertragen, um herauszufinden, was er über diesen Unfall wusste. Oder sollte sie auf eigene Faust recherchieren? Vielleicht im Archiv der Braunschweiger Zeitung? Aber dafür musste sie den Zeitpunkt des Unglücks kennen, sonst würde das eine sehr mühsame Sache werden. Ein Geräusch unterbrach ihre Gedankengänge. Es war der Klingelton, mit dem ihr Mobiltelefon das Eintreffen einer SMS ankündigte. Sie stürzte sich auf den Apparat. Paul?
SCHLAMPE.
Nur dieses eine Wort stand auf dem Display. Die Nummer de s Senders war unterdrückt worden. Schockiert starrte Franzisk a auf die Buchstaben . Wer tat so etwas? Sicherlich war das Ganze nur ein Versehen . Genau: Jemand musste sich in der Nummer geirrt haben .
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»Wir bleiben in Verbindung«, säuselte Daniel. »Ich bin ein einsamer Wolf mit grauen Schläfen, niemand macht mir mein Frühstück...«
»Kannst du jetzt mal wieder aufhören damit?«, fragte Petra gereizt. Schon während der Rückfahrt von Braunschweig nach Hannover hatte sie sich fortwährend Daniels Kindereien anhören müssen. »Nur weil ein Kollege mal kein Holzkopf ist, musst du mir nicht gleich Gott weiß was unterstellen!« Daniel grinste nur, öffnete die Tür zu ihrem Büro und rückte Petra übertrieben höflich den Stuhl vor dem Schreibtisch zurecht, wobei er schmachtete: »Grünäugige Schöne, willst du die Butter auf meiner Stulle sein...?«
Frau Kulm trat mit einer Kanne Kaffee ins Zimmer und blickte verwirrt von einem zum anderen. Petra machte eine scheibenwischerartige Handbewegung vor ihrer Stirn und fuhr Daniel an: »Es reicht jetzt!« Sie knallte die Aktentasche auf den Schreibtisch. »Hier hast du was zu tun. Schau nach, ob Paul Römer für die Zeit, in der das Mädchen vom Fahrrad fiel, ein Alibi hatte.« »Und was machst du?«, fragte Daniel. »Ich geh jetzt in die Cafeteria. Frühstücken.« »Bring mir ein Baguette mit. Mit Salami und Käse.« »Mal sehen«, antwortete Petra. Sie ließ sich Zeit, obwohl sie die Neugier quälte. Eine halbe Stunde später betrat sie das Büro, wo sich Daniel brav mit den Braunschweiger Akten beschäftigte. »Er hat keins«, sagte er. »Hier steht’s, im Vernehmungsprotokoll: Ich war den ganzen Nachmittag zu Hause, in meinem Zimmer. Dafür hat er nur seine Schwester Alexandra als Zeugin. Sie sagt, sie hätte nebenan Hausaufgaben gemacht und
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