Nixenmagier
zurück.
»Hab keine Angst, Sapphy.«
Ich weiß, wer das sagt. Wem die Stimme gehört, die mich hierhergelockt hat. Es ist Dad.
Doch ich kann nichts erwidern. Der Schock verschlägt mir den Atem. Er dreht sich zu mir. Das Wasser rinnt ihm über Gesicht und Schultern. Seine Haare sind lang und verschlungen wie Seegras. Sein Körper scheint aus Stein zu sein.
Ich habe mir immer vorgestellt, wie ich Dad entgegenrennen und mich in seine Arme werfen würde, wenn ich ihn wiedersehe.
Doch jetzt ist alles anders. Das ist mein Dad, keine Frage. Aber er hat sich verändert. Ich habe Angst, näher heranzugehen. Das Wasser sieht dunkel und gefährlich aus. Es will, dass ich hineinspringe. Es will mich mit sich fortnehmen.
»Weiter kann ich nicht«, sagt Dads Stimme. Er keucht, als habe er Schwierigkeiten zu atmen. »Komm näher, Sapphy. Ich kann das Wasser nicht verlassen.«
»Dad!«
»Ja.«
»Warum kannst du nicht aus dem Wasser kommen?«
»Komm näher heran, Sapphy. Lass dich ansehen.«
Beklommen mache ich einen Schritt nach vorne.
»Wir müssen reden«, sagt er, »ich kann nicht lange bleiben. «
»Wo bist du die ganze Zeit gewesen, Dad? Wie bist du hierhergekommen?«
Doch ich kenne die Antwort, bevor ich zu Ende gesprochen habe. Mein Herz ist kalt wie Stein. Conor und ich hatten recht, Dad ist nicht gestorben. Er ist am Leben und sieht mich an. Warum bin ich nicht glücklich? Ich habe immer gedacht, ich würde vor Glück sterben, wenn ich ihn eines Tages wiedersehe.
Es ist ein Fremder mit Dads Stimme und seinem Gesicht. Jemand, der sich völlig verändert hat …
»Bist du’s wirklich?«, flüstere ich.
»Ich bin’s«, sagt er. Seine Stimme klingt so traurig und müde, dass ich am liebsten sofort zu ihm laufen würde.
Aber ich kann nicht. Ich starre ängstlich aufs Wasser. Ich
sehe Brust, Schultern und Arme, doch der Rest seines Körpers ist unter der Oberfläche.
»Dad«, flüstere ich, » warum kannst du das Wasser nicht verlassen?«
»Du kennst den Grund, Sapphy.«
Ja, ich kenne ihn. Die Mer können an Land nicht existieren. Manchmal klettern sie an der Küste auf Felsen. Das Atmen bereitet ihnen dort Schmerzen, aber ihre Neugier ist groß. Weiter an Land können sie nicht kommen, auch Dad nicht, weil er …
Dad hat sich verwandelt, wie der erste Mathew Trewhella vor langer Zeit. Er hat uns verlassen, so wie der erste Mathew Trewhella seine Familie verlassen hatte. Und der erste Mathew ist niemals wiedergekommen.
Nein, das ist zu schrecklich.
»Komm aus dem Wasser, Dad, bitte! Ich weiß, dass du es kannst, wenn du willst. Bitte, versuch es für mich!«
»Dafür ist es zu spät.« Seine Stimme lässt jede Hoffnung im Keim ersticken. Er streicht seine wirren Haare zurück. »Ich kann nicht lange bleiben, Sapphy. Sobald sich das Wasser wieder zurückzieht, muss ich von hier verschwinden.«
»Wie … wie bist du hierhergekommen, Dad?«
»Ich bin flussaufwärts geschwommen.«
Ich halte mir die Ohren zu. Ich will mir das nicht anhören. Es ist zu seltsam und furchtbar. Dies ist mein Vater . Seine Lippen bewegen sich, doch ich verstehe kein Wort. Plötzlich werde ich wütend. Wie kann Dad nur behaupten, dass es zu spät sei? Es ist nie zu spät! Wir alle warten auf ihn – ich, Conor und Mum. Wir würden ihm keine Vorwürfe machen, sondern ihn einfach wieder zu Hause willkommen heißen. Wir würden ihm helfen, seine alte Gestalt anzunehmen.
Ich nehme die Hände von den Ohren.
»Du kannst nach Hause kommen. Niemand wird dich daran hindern. Wir werden dir alle helfen.«
Dad seufzt auf. Das Wasser kräuselt sich um ihn herum. »Weiter als bis hierher kann ich nicht kommen«, sagt er. »Ich bin so weit geschwommen, wie es der Fluss zugelassen hat.«
Aber der Lady Stream ist nicht überall tief genug, um in ihm zu schwimmen. Conor und ich sind seinem Verlauf, von Stein zu Stein springend, schon oft gefolgt. Dad muss sich an den schroffen, scharfkantigen Steinen immer wieder emporgestemmt haben, um vorwärts zu kommen. Das Atmen muss ihm dabei sehr schwer gefallen sein.
»Hat es sehr wehgetan?«, frage ich ihn.
»Nein.« Plötzlich dreht er sich um und wirft einen Blick aufs Meer. »Schnell, Sapphire, wir haben keine Zeit zu verlieren. Die Gezeiten kehren sich um. Komm näher und hör mir zu!«
»Du hast mich gerufen, Dad. Jetzt kannst du nicht einfach gehen.«
»Ich musste dich sehen … um dich zu warnen, weil …« »Dad«, unterbreche ich ihn. »Jetzt hörst du mir zu! Ich werde dir helfen.
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