Nixenmagier
Nichts und niemand wird mich davon abhalten, zu meinem Dad zu gehen.
»Ssssssapphhhiiiiiiire …«
»Ssssssapphhhiiiiiiire …«
Wie merkwürdig, dass ich gerade vorhatte, unserem Haus einen Besuch abzustatten, um dem Dad der Vergangenheit zu begegnen. Ich muss ihn nicht mehr suchen. Er hat mich gefunden.
Fünftes Kapitel
I ch komme!«, antworte ich leise. »Warte auf mich.«
»Ssssssapphhhiiiiiiire …«
»SSSSssapphhhiiiiiiire …«
Die Stimme ist nicht weit weg. Nicht so weit wie das Meer. Dad ist nah. Er wartet auf mich, draußen in der Nacht. Ich ziehe mir die Kleider über, schlüpfe in meine Turnschuhe und gehe zum Fenster zurück.
Es ist so niedrig, dass ich leicht auf das Fensterbrett klettern kann. Der steil aufsteigende Hang sieht jetzt gar nicht mehr so nah aus. Ich muss einen großen Satz machen, damit ich nicht gegen die Hauswand zurückpralle. Eins … zwei … drei.
Ich springe wie eine Katze. Die Erde rast mir entgegen, ich falle der Länge nach hin, kann mich aber an einem Büschel Heidekraut festhalten, sodass ich nicht den Abhang hinunterrutsche. Vorsichtig krabbele ich die Böschung entlang und schleiche um das Haus herum.
Vor dem Haus ist das Gras struppig und hart. Das Mondlicht scheint hier so hell, dass ich einen scharfen Schatten werfe. Ich spähe zum Fenster hinauf. Niemand zu sehen.
Wieder Dads Stimme, diesmal noch lauter.
»Ssssssapphhhiiiiiiire … Ssssssapphhhiiiiiiire …«
Ich folge dem steilen Pfad, der sich den Hügel hinabzieht, und lausche seiner Stimme. Manchmal ist sie sehr leise,
manchmal lauter. Sie ruft immer nur meinen Namen. Ich habe den Pfad verlassen, während mir die Stimme einen eigenen Weg bahnt. Unaufhaltsam eile ich über den steinigen Grund. Meine Füße scheinen von allein zu wissen, wohin sie treten müssen. Kein einziges Mal stolpere ich oder knicke um. Ich befinde mich oberhalb des Dorfes und erkenne in der Ferne den eckigen Kirchturm im Mondlicht. Wie hell es jetzt ist. Ich frage mich, warum nicht jedermann aufwacht. Die Stimme zieht mich zu sich. Ich stapfe weiter und beginne schließlich zu laufen, durch Adlerfarn und Heidekraut hindurch, an Stechginster und Felsblöcken vorbei.
Schließlich führt mich die Stimme zu einem offenen Feld. Ich bin jetzt wieder näher am Meer. In der Ferne leuchtet es mir so strahlend entgegen, als hätte der Mond es poliert. Die Stimme leitet mich zu einer Lücke in einer Umhegung aus Granit, an der sich einige Rinder zusammendrängen. Was haben sie in einer Novembernacht auf dem Feld zu suchen? Sie schnauben, als ich an ihnen vorbeigehe, haben aber keine Angst vor mir. Sie heben ihre Köpfe und folgen mir mit den Augen. Ihre Wärme und ihr vertrauter Geruch umhüllen mich für einen Moment wie eine Decke, dann eile ich zum nächsten Mauerdurchlass, überquere das folgende Feld und gehe durch das Gatter. Plötzlich rieche ich Wasser. Doch es ist nicht der würzige Salzgeruch des Meeres. Es riecht nach Süßwasser.
Jetzt weiß ich, wohin ich gehen muss. Hinüber zum Lady Stream, der zwischen den Hügeln und unter der Straße hindurchfließt, den Ort durchquert und schließlich eine tiefe Kluft hinunterstürzt, bevor er sich ins Meer ergießt. Der Lady Stream fließt mit hoher Geschwindigkeit. Wo er auf
steile Abhänge trifft, bilden sich reißende Wasserfälle und große Wasserbecken, in denen Forellen schwimmen.
Das Geräusch des sprudelnden Wassers, das den Regen des Herbstes mit sich führt und nun über die Felsen schießt, wird immer lauter. Mein Herz hämmert, als würde mein Blut ebenso schnell durch meine Adern rauschen. Jetzt ist der Fluss bereits in Sichtweite. Ich erreiche eines der tiefsten Becken, in denen sich das Wasser sammelt, bevor es dem Meer entgegenströmt. Das Mondlicht glitzert auf seiner Oberfläche und beleuchtet die umstehenden Granitfelsen.
Dann sehe ich sie, eine massige Gestalt in der Mitte des Beckens, nass und glänzend, die nicht dorthin gehört. Wie ein rundlicher Felsen, der aus dem Wasser ragt. Ein schwimmender Felsen. Das ist doch nicht möglich. Felsen können nicht schwimmen. Aber der Stein bewegt sich. Das Mondlicht flackert, das Wasser kräuselt sich. Der Felsen steigt empor, kommt an die Luft …
»Sapphire« , sagt er.
Mir bleibt fast das Herz stehen, als der Fels weiter emporwächst. Ein nasser Kopf und glatte Schultern werden sichtbar. Die Schultern eines Mannes.
Ich trete einen Schritt zurück und öffne meinen Mund, um zu schreien. Doch seine Stimme hält mich
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