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Nixenmagier

Nixenmagier

Titel: Nixenmagier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helen Dunmore
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auf. Vielleicht schloss
Granny Carne ihre Haustür nie ab, oder sie wusste, dass ich hinausgegangen war, und hatte sie für mich offen gelassen. Ich schlich die Stufen hinauf, öffnete die Tür der Kammer und kroch ins Bett.
    Es schien mir hundert Jahre her zu sein, seit ich Sadie und Granny Carne eine gute Nacht gewünscht hatte. Mein Herz klopfte immer noch heftig, obwohl ich unbemerkt mein Bett erreicht hatte. Ganz ruhig, Sapphire , sagte ich mir. Das Pochen des Bluts in meinen Ohren war so laut, dass ich fürchtete, Granny Carne könnte es hören.
    Ich war nicht in Sicherheit. Nichts war sicher. Dad war in Indigo, doch er war nicht mehr wie mein Vater. Er wollte nicht aus dem Wasser herauskommen. Schlimmer noch: Er konnte nicht aus dem Wasser herauskommen, selbst wenn er gewollt hätte, denn seine Entscheidung war unwiderruflich gefallen. Er gehörte jetzt zu Indigo, nicht zu uns. Ich könnte nur mit ihm zusammenleben, wenn ich mich ebenfalls für Indigo entschied. Aber dieser Gedanke war zu gewaltig und furchteinflößend.
    So lange habe ich darauf gewartet, dass er wieder nach Hause kommt. Monat für Monat für Monat. Alle hatten ihn aufgegeben, doch wir haben die Hoffnung nicht verloren. Conor sagte: »Wenn wir die Hoffnung nicht verlieren, werden wir Dad eines Tages auch finden.« Wir schworen uns, keine Ruhe zu geben, bis wir ihn eines Tages gefunden hätten. Was soll ich Conor jetzt erzählen?
    Ich habe Dad gefunden – oder er mich –, doch kein Problem ist gelöst worden. Wir haben uns nicht umarmt und geküsst und geweint. Ich habe ihn nicht einmal berührt. Hat er überhaupt nach Conor gefragt? Eigentlich nicht. Er hat nicht die Fragen gestellt, die ein Vater stellen sollte,
wenn er seinen Sohn anderthalb Jahre nicht gesehen hat. Doch ich weiß, wie es in Indigo ist. Das Leben an Land verblasst schnell.
    Ich drehte mich unruhig im Bett hin und her. Vielleicht hat mein Herz so laut geschlagen, weil es leer war. Ach wäre ich doch in Indigo . Jetzt kann mein Dad nie wieder aus Indigo zurückkehren. Es sei denn … es sei denn, es gäbe einen Zauber, der ihn in einen Menschen zurückverwandeln könnte. Erdmagie. Die Magie von Granny Carne. Vielleicht gibt es doch noch Hoffnung.
    Ach wäre ich doch in Indigo.
    Jetzt weißt du immerhin, wo er ist, und kannst zu ihm. Du kannst die Haut des Wassers durchdringen und nach Indigo hinabtauchen. Dorthin, wo Dad sich befindet.
    Ich warf mich hin und her, als wären Kiesel in meinem Bett. Ich würde niemals Schlaf finden können. Was konnte ich Conor überhaupt erzählen? Ich hätte Dad mehr Fragen stellen sollen. Hätte ihn dazu bringen sollen, mir alles zu erzählen, was seit seinem Verschwinden passiert ist. Vielleicht wird Conor mir vorwerfen, mich dumm verhalten zu haben, doch der Mondschein und die gesamte Atmosphäre waren so rätselhaft und furchterregend, dass ich gar nicht daran gedacht habe.
    Keine Ausreden. Du hattest die Chance, Saph, und du hast sie verschenkt. Mum davon zu erzählen, ist völlig ausgeschlossen. Selbst wenn sie mir glaubte, wäre sie nicht in der Lage, Dad zu helfen. Sie würde ihn hassen, weil er uns im Stich gelassen hat. Vielleicht würde sie sogar sagen, dass wir ohne ihn besser dran sind.
    Arme Mum , dachte ich. Sie hat sich ja nicht freiwillig in Roger verliebt und ist nach St. Pirans gezogen. Das alles ist
nur so gekommen, weil Dad uns verlassen hat. Und ich habe ihr solche Vorwürfe gemacht, habe sie fast gehasst, wenn sie Roger anlächelte oder am Morgen fröhlich singend durchs Haus ging.
    An Schlaf war nicht zu denken. Ich würde bis zum Morgen wach liegen. Oder war es bereits Morgen? Am Himmel schien es schon heller zu werden – aber vielleicht lag das auch nur am Mond …
    Ich wachte ruckartig auf, als ich Sadie im Erdgeschoss freudig kläffen hörte. Zunächst wusste ich nicht, wo ich war, doch dann fiel mir alles wieder ein. Weiße Wände. Granny Carnes Haus. Ging es Sadie schon besser? Zumindest hörte sie sich viel besser an. Sie bellte, als wäre sie in ihrem Leben nie krank gewesen.

    Nun bin ich in Granny Carnes Küche und esse ein Brot mit Honig. Sadie sitzt neben mir auf den Steinfliesen, nur so strotzend vor Lebenslust, und blickt mich aufmerksam an. Sie sieht aus, als hätte sie in Sonnenlicht gebadet. Ihr Fell glänzt, ihre Augen sind leuchtend hell, ihr Schwanz gleicht einer goldenen Feder. Sie kann es kaum erwarten, dass endlich der Tag mit all seinen Abenteuern beginnt, und versteht nicht, warum ich so

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