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Nixenmagier

Nixenmagier

Titel: Nixenmagier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helen Dunmore
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Krabbe.«
    Ich bahne mir meinen Weg über die schroffe Oberfläche seiner Haut.
    »Soll ich dich verschlucken, kleiner Nacktfuß, und weiter oben wieder ausspucken?«
    Ich zucke zusammen und werde von Panik ergriffen.
    »War nur ein Scherz«, fügt er rasch hinzu. »Meine eigenen Kinder hätten gleich gewusst, dass ich es nicht ernst meine.«
    Für einen Moment stelle ich mir vor, wie die Walkinder entnervt die Augen verdrehen, weil ihr Papa mal wieder einen seiner blöden Witze gemacht hat.
    »Hier kann ich nicht bleiben«, sage ich. »Ich muss meinen Bruder und Faro finden und dann mit Saldowr sprechen.«
    »Saldowr?«
    »Er ist ein weiser Lehrer«, erkläre ich.

    »Ich weiß, wer Saldowr ist«, erwidert der Wal.
    »Weißt du auch, wo er sich aufhält?«
    »Ich kenne eine Strömung, die dich zu ihm bringt. Aber bist du sicher, kleiner Nacktfuß, dass du wirklich zu Saldowr willst? Wir Wale besuchen ihn nie. Er weiß zu viel.«
    »Und ich will etwas ganz Bestimmtes wissen.«
    »Verstehe«, murmelt der Wal. »Für einen Moment hatte ich ganz vergessen, dass du keine von uns bist. Eure Welt ist voller Wissen. Sobald ihr einer fremden Kreatur begegnet, wollt ihr wissen, wie es in ihr aussieht.« Seine Stimme ist voller Trauer.
    Plötzlich fällt es mir wieder ein. Wale wie er wurden zu Tausenden gejagt, weil man herausgefunden hatte, dass sich in ihrem Inneren eine wachsartige Substanz befindet, die Amber genannt wird. Ich habe Dad einmal gefragt, was mit ihr gemacht wird.
    Man benutzt sie zur Parfumherstellung , sagte er.
    Aber wie haben die Menschen denn herausgefunden, dass man aus Walen Parfum herstellen kann? , fragte ich.
    Indem man ausreichend viele tötete.
    »Du musst also zu Saldowr, um eine Antwort auf deine Frage zu erhalten, wie schmerzhaft sie auch sein mag«, fährt der Wal fort. »Und ich muss nach oben.«
    »Brauchst du Luft?«
    »Ja. Zuerst habe ich meinen Magen gefüllt, und nun spüre ich, wie mein Lufthunger wächst. Steig mit mir an die Oberfläche, kleiner Nacktfuß, es sei denn, du bevorzugst die Tiefe.«
    »Wie soll ich das anstellen?«
    »Hast du schon mal gesehen, wie Delfine auf den Bugwellen eurer Schiffe reiten?«

    »Ja, das heißt nein, aber ich weiß, dass sie das tun.«
    »Delfine sind so verspielt. Wenn ihr es schafft, so viel zu spielen wie sie, müsst ihr die klügsten aller Wesen sein. Wir Wale können uns nicht beklagen, aber unser Leben ist hart. Die Delfine sind frei. Das ist ihre Gabe, kleiner Nacktfuß. Sie verbringen ihr ganzes Leben mit Spielen.«
    »Spielen Wale denn gar nicht?«
    »Aber sicher!«, dröhnt der Wal. »Wir versuchen es zumindest. Wir machen auch einen Haufen Witze, doch keiner traut sich zu lachen.«
    »Ach, ich verstehe.«
    »Das ist die Bürde, die wir von jeher getragen haben.«
    Die Art und Weise, wie mich der Wal an die Oberfläche befördert, hat jedoch gar nichts Spielerisches an sich. Tosende Wassermaßen schleudern mich hin und her. Es kommt mir so vor, als würde ich von riesigen Boxhandschuhen nach oben gestoßen. Im schäumenden Kielwasser des Wals werde ich herumgewirbelt, während mir die Sinne vergehen, doch wir schießen empor, erst langsam, dann zunehmend schneller, als bedürfe es der ganzen Stärke des Wals, um sich aus der Umklammerung der Tiefe zu befreien.

Elftes Kapitel

    E s fällt mir schwer, von dem Wal Abschied zu nehmen. In seiner Gegenwart habe ich mich so sicher gefühlt, als wäre er meine Mutter. Ich wünschte, er würde einen weiteren seiner unbeholfenen Witze machen. Diesmal würde ich ganz bestimmt lachen. Das würde ihm gefallen.
    Doch dazu ist keine Zeit mehr. Er wird langsamer und kommt ungefähr fünfzig Meter unter der leuchtenden Oberfläche zum Stehen. Jetzt kann ich ihn deutlich erkennen. Seine Haut ist runzlig, fast zerklüftet. Ich frage mich, ob er schon sehr alt ist. Er ruht neben mir wie ein schützender Berg.
    »Hier kann dir nichts mehr passieren«, sagt er. »Wirf dich in die Strömung und sie wird dich an dein Ziel bringen. Ich muss jetzt schnell an die Luft.« Vielleicht ist er mir zuliebe langsamer nach oben gestiegen, als er es sonst tut.
    »Leb wohl, lieber Wal. Und tausend Dank für alles.«
    »Leb wohl, kleiner Nacktfuß.«
    Er gleitet ein Stück von mir fort. Dann erhebt sich seine massige Gestalt majestätisch und voller Anmut an die Oberfläche – wie ein Ballon, der in den Himmel steigt.
    »Leb wohl!«, rufe ich ihm nach. Ob wir uns jemals wiedersehen werden? Ich hoffe es.
    Dort ist die

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