Nixenmagier
Richtungen und schaue, was passiert. Wird es dunkler, dann weiß ich, dass es die verkehrte Richtung ist. Wird es heller, schwimme ich der Oberfläche entgegen.
Doch was habe ich eigentlich davon, an die Oberfläche zu gelangen, Hunderte von Meilen von zu Hause entfernt?
Ich verdränge diesen Gedanken. In Indigo bin ich stark. Ich bin Dads myrgh kerenza , seine liebe Tochter. Ich bin hier, um mit ihm zu reden. Das ist kein Verbrechen.
Vielleicht hatte die Strömung bemerkt, dass wir Dads Befreiung planten. Vielleicht wusste sie, dass wir die Gesetze der Mer brechen wollten. Vielleicht ist sie deshalb außer Kontrolle geraten und hat ihr eigenes Gesetz gebrochen, indem sie mich in die Tiefe schleuderte.
Ich bin allein. Vollkommen allein. Und das nicht, weil Mum bei der Arbeit ist oder ich ein bisschen für mich sein will. Allein. Wenn ich hier sterbe, wird es niemand erfahren. Der Druck, der auf mir lastet, ist so groß, dass ich wohl keine Möglichkeit habe, überhaupt an die Oberfläche zu gelangen. Niemand wird je erfahren, was mit mir geschehen ist. Wie laut ich Faro auch rufe, er wird mich nicht hören. Faro sagt, dass die Mer nicht in die Tiefen des Ozeans vordringen. Niemand kann mir hier helfen.
Nur du selbst , sagt eine leise Stimme in meinem Kopf. Nur du selbst. Die Worte klingen hohl und schwach. Nicht einmal meine Finger kann ich erkennen. Es ist einfach zu dunkel.
Doch ich bin immer noch da. Ich bin nicht tot, nicht einmal verletzt. Mein Körper ist in der Lage, den Druck der Tiefe zu ertragen. Vielleicht ist es weniger tief, als ich denke.
Faro sprach von Ungeheuern, die hier leben. Von gigantischen Tintenfischen mit Tentakeln so lang wie Riesenhaie …
Aber wahrscheinlich hat er mir nur Angst machen wollen. Ich will jetzt nicht an Tentakel denken. Ich habe immer noch mich selbst, auch wenn das alles ist, was ich habe. Ich muss einen klaren Kopf bewahren und darf nicht in Panik
geraten. Ich muss genauso mutig sein wie Conor, der sich nach Indigo traute, obwohl er nicht wusste, ob ich ihn am Leben halten könnte. Sei tapfer, Sapphire.
Ich werde so lange schwimmen, bis ich herausfinde, wo ich bin. An das Gewicht des Wassers verschwende ich keinen Gedanken.
Nur du selbst , wiederholt die dünne Stimme in meinem Ohr.
Genau, ich selbst! Ich bin jetzt wütend, mehr wütend als ängstlich.
Vorsichtig schwimme ich weiter, taste mich durch das trübe Wasser, versuche nicht zu viel Energie zu verbrauchen. Schneller schwimmen kann ich ohnehin nicht. An meinen Armen und Beinen scheinen Gewichte zu hängen, die mich nach unten ziehen. Das ist der Druck.
Conor ist in Sicherheit. Gemeinsam mit Faro ist er der Strömung entkommen. Ich muss daran glauben. Die Alternative ist zu grauenhaft. Für einen Moment stelle ich mir Conors Körper vor, wie er sich ein ums andere Mal überschlägt und schließlich in die Tiefe sinkt. Dann schließe ich diese Vorstellung aus meinem Bewusstsein aus. Die Tiefe kann Conor nichts anhaben. Faro passt auf ihn auf. Die Tiefe will auch mir nichts anhaben. Vielleicht weiß sie nicht einmal, dass ich hier bin. Ich bin wie eine Mücke auf der Schulter eines Elefanten. Ich schwimme weiter, weder zu schnell noch zu langsam, bis ich einen Ort erreicht haben werde, an dem ich notfalls stundenlang bleiben könnte. Wenn man nur fest an etwas glaubt, dann geht es manchmal in Erfüllung. Und ich glaube daran, dass ich mich schwimmend in Sicherheit bringe.
Der Wal sieht mich, bevor ich ihn sehe. Ich bin ihm schon sehr nahe, als ich begreife, dass er alles andere als ein undurchdringlicher Teil der Dunkelheit ist. Sein Körper dreht sich langsam herum. Ich spüre das aufwirbelnde Wasser. Der Wal ist massiger als ein Schatten – und lebendig! Als würde ich eines dieser Suchbilder betrachten, in denen eine Figur verborgen ist. Sobald man sie erkennt, versteht man nicht, warum man sie nicht gleich gesehen hat. Die Gestalt des Wals tritt aus der Dunkelheit hervor. Zuerst türmt sich sein Kopf auf, während der Rest des Körpers noch unsichtbar ist.
Der Wal ist so riesig, dass ich mir wie ein Schlauchboot vorkomme, das den Weg eines Tankers kreuzt. Gott sei Dank schwimmt er sehr langsam. Vielleicht will auch er Energie sparen. Ich lege jedenfalls keinen Wert darauf, von einem Wal in Höchstgeschwindigkeit gerammt zu werden.
Ich weiß nicht, um was für eine Walart es sich handelt. Ich versuche, mich daran zu erinnern, was Dad mir über Wale erzählt hat. Es ist zu dunkel, um ganz sicher zu
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