Nixenmagier
Strömung, die uns zu ihm bringen wird, und dann noch einen halben Tag.«
Wir wollen mit einer breiten, mächtigen Strömung reisen. Doch sie ist viel zu gewaltig, um sich direkt in sie hineinzubegeben. Ihre Kraft würde uns sofort wieder herausschleudern, vielleicht sogar verletzen, sagt Faro. Also benutzen wir zunächst eine schwächere Strömung, die in die stärkere einmündet wie ein Nebenfluss in einen mächtigen Strom. Wir schmiegen uns eng aneinander, während wir vom wirbelnden Wasserstrang zusammengepresst und Indigo hundert Mal schneller entgegengeschleudert werden, als wir je schwimmen könnten. Indigo schäumt um uns herum. Der Meeresboden ist so weit weg, dass wir ihn nicht sehen können. Doch im Zentrum der Strömung herrscht ein eigenartiger Frieden. Mit dem Gesicht nach unten werden wir nach vorne katapultiert und starren in die Tiefe.
»Warst du schon mal auf dem tiefsten Grund des Ozeans?«, fragt Conor.
Faro entgegnet, dass Mer dort unten nicht existieren könnten, weil der Druck sie zerquetschen würde. Nur sonderbare Kreaturen, die sich der Dunkelheit und dem Gewicht des Wassers angepasst hätten, könnten in solchen Tiefen leben. Hin wieder trieben sie wie Ungeheuer an die Oberfläche.
»Ich dachte, du könntest jeden Ort in Indigo erreichen«, sage ich überrascht.
»Kannst du jeden Ort der Erde erreichen?«
Ich denke an den Mount Everest, die Antarktis und die Sahara. »Im Prinzip schon, aber das ist nicht leicht. Man
braucht besondere Kleider und eine spezielle Ausrüstung dazu.«
»Typisch für euch Menschen«, bemerkt Faro. »Man braucht euch nur einen Platz zu zeigen, der nicht für euch bestimmt ist, und schon wollt ihr genau dorthin.«
»Auch Indigo ist nicht für uns bestimmt, und doch sind wir hier.«
»Natürlich ist Indigo für euch bestimmt«, stellt Faro fest, als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt. »Oder glaubt ihr etwa, dass wir jedes menschliche Wesen, das zu uns eindringt, so freundlich empfangen wie euch? Nein. Von dem Moment an, als meine Schwester zum ersten Mal deinen Bruder sah …«
Doch in diesem Moment beginnt die Strömung wie eine Schlange zu zucken, sich zu winden und förmlich um sich zu schlagen. Immer schneller dreht sie sich um sich selbst und zieht uns in ihren rasenden Wirbel hinein. Faros Gesicht verändert sich, und erschrocken nehme ich zur Kenntnis, dass er zum ersten Mal, seit ich ihn kenne, Angst hat.
»Verdammte Strömung!«, ruft er. »Wir müssen hier weg! Schnell, Sapphire, wirf dich raus!«
Faro lässt mich los und hält Conor mit beiden Händen fest. Für einen Augenblick sind wir drei noch beieinander, dann werden wir auseinandergerissen. Ich erhasche einen letzten Blick auf sie, ehe sie davonwirbeln und verschwunden sind. Wir werden in verschiedene Richtungen geschleudert, so wie der Wind den Abfall im Rinnstein vor sich hertreibt. Ich überschlage mich ein ums andere Mal, von meinen eigenen Haaren geblendet, und rase durch einen endlosen Tunnel dem brüllenden Herzen der Strömung entgegen.
Ich habe keine Ahnung, wohin es mich getragen hat. Ich muss ohnmächtig gewesen sein. Vage erinnere ich mich daran, wie sich etwas über mein Bewusstsein legte, wie eine Hand, die dich in den Schlaf wiegt.
Um mich her ist es schwarz. Hohle, dröhnende Finsternis. Doch ist es nicht völlig dunkel. Hier und da blitzen Lichtfunken auf. Schattige Gebilde zeichnen sich ab und verblassen wieder. Ich versuche, meine Hand zu bewegen, doch es fällt mir unendlich schwer. Das Wasser drückt mich nieder, als laste ein Berg auf mir. Ich drehe mein schmerzendes Genick und halte nach Conor und Faro Ausschau. Nichts als trübes, undurchdringliches Wasser. Ich blinzle nach oben, suche die helle Oberfläche, kann jedoch nichts erkennen. Vielleicht schaue ich in die falsche Richtung. Möglicherweise bin ich so sehr herumgewirbelt worden, dass ich umgekehrt im Wasser treibe. Wenn ich dem entgegenschwimme, was ich für die Oberfläche halte, gelange ich vielleicht in die unergründlichen Tiefen des Ozeans.
Conor würde hier unten nicht atmen können. Er ist bei Faro, so muss es sein. Als die Strömung verrücktspielte, wusste Faro sofort, dass Conor seine Hilfe brauchte. Er hielt Conor mit beiden Händen fest, weil er wusste, dass ich auch allein überleben würde. Ja, Conor und Faro haben sich bestimmt in Sicherheit gebracht und suchen jetzt nach mir. Etwas anderes will ich mir nicht vorstellen.
Ich schwimme abwechselnd in verschiedene
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