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gesagt: er hält seine Geliebte geheim. Oder seine Geliebten. Darin
ist er sehr geschickt. Schon als Papa noch lebte, wußte niemand... und auch
Papa wußte nicht...“
Sie schweigt.
„Was wußte er nicht?“ hake ich
nach.
„Sie haben erst vor drei Jahren
geheiratet... aber so lange haben sie... nicht gewartet... Ja, schon als Papa
noch lebte... Ich war noch ganz klein... begriff nichts... aber später, als ich
älter wurde, verstand ich... Und auch darum bin ich ihm böse. Ich hasse ihn!“
Sie schlägt die Hände vors
Gesicht und schluchzt. Wie Mama.
„Arme Mama! ... Meine liebe
Mama... ich liebe sie... liebe sie... so sehr...“
Ich laß das Mädchen ein wenig
schluchzen. Dann:
„Wenn Sie Ihre Mutter so sehr
lieben, dann müssen Sie auch konsequent sein und Sie nicht zusätzlich noch zum
Weinen bringen. Aber vielleicht ist das zuviel verlangt. Meinen Sie, Ihre
Ausflüge machen ihr Spaß? Meinen Sie, sie ist
glücklich, wenn sie gleich oder morgen früh in Ihr Zimmer kommt und feststellen
muß, daß Ihr Bett leer ist?“
„Mein Gott! Was soll ich denn
tun? Ich habe Angst, wirklich.“
„Dummes Zeug! Seien Sie
vernünftig, verdammt nochmal! Sie haben keinen Grund, Angst zu haben. Ihnen
kann nichts passieren. Es sei denn, Sie spielen weiter verrückt. Auch die
Geduld Ihrer Mutter ist irgendwann mal erschöpft. Und dann wird sie, zusammen
mit ihrem Mann, Maßnahmen ergreifen. Oder sind Sie schon volljährig?“
„Nein. Erst in fünf Wochen. In
fünf Wochen werde ich herrschen!“
Ihre Stimme klingt seltsam
erregt. Ich sehe sie an. Nicht nur die Stimme. Auch das Gesicht hat sich
verändert. Etwas bekloppt muß sie tatsächlich sein. Das, was sie mir soeben
erzählt hat, ist wohl mit Vorsicht zu genießen. Dichtung und Wahrheit. Soll
nicht meine Sorge sein. Ich hab andre.
„Genau“, sage ich lächelnd.
„Herrschen. Wie eine Königin. Königin Christine. Aber bis es soweit ist, rate
ich Ihnen folgendes: Sie gehen jetzt schön brav nach Hause, ins Bett. Sie haben
nichts zu befürchten. Sollte etwas sein — aber, zum Teufel, ich frage mich, was
sein sollte — , hier meine Karte mit Adresse und
Telefon. Und hier noch zwei weitere Telefonnummern. Von meinen Mitarbeitern.
Müßte schon mit dem Teufel zugehen, wenn Sie keinen erreichen können, wenn Sie
einen erreichen wollen. Aber ich bin sicher, Sie werden keinen von uns
brauchen. Nur zu Ihrer Beruhigung. Das ist das einzige, was Sie brauchen.“
„Vielen, vielen Dank“, sagt sie
mit übertriebener Dankbarkeit.
„Ja, so ist sie. Neigt zu
Übertreibungen.
„Gut. Fahren wir zurück in die
Avenue de Saint-Mandé?“
„Ja.“
„O.K.! Und jetzt, mein liebes
Fräulein, weil Sie so brav und vernünftig waren und soviel Vertrauen zu mir
hatten, hier die Belohnung. Die versprochene Kriminalgeschichte. Eventuell
werden Sie davon Alpträume kriegen. Aber bestimmte Dinge sollten Sie wissen.“
Ich erzähle ihr nicht alles.
Nur daß Lecanut ein Gangster war, welche Schweinerei er mit mir vorhatte und
warum ich sein Foto habe.
„Großer Gott!“ ruft sie. „Sehen
Sie. Der Kerl hat mir nie gefallen... Er machte mir Angst... ohne daß ich
wußte, warum...“
„Ja, ja. Seit wann haben Sie
ihn nicht mehr gesehen?“
„Hab ich Ihnen doch schon
gesagt. Seit mehreren Jahren. Seit er die Stellung in der Weinhandlung
aufgegeben hat. Ungefähr ein Jahr nach Papas Tod.“
„Wer war enger mit Lecanut
befreundet: Ihr Vater oder Ihr Stiefvater?“
„Monsieur Lecanut war mit
beiden gleich gut befreundet.“
Ich versuche, ihr noch weitere
Würmer aus der Nase zu ziehen. Aber mehr weiß sie nicht über Lecanut. Kein
Wunder. Ich erfahre nichts Neues.
An der Kreuzung Saint-Mandé —
Michel-Bizot biege ich in die Rue de la Voûte ein, beschreibe denselben Bogen
wie eben und halte in einiger Entfernung vor dem Haus des Weinhändlers. Immer
noch alles ruhig und friedlich.
„So, Mademoiselle Delay“, sage
ich. „Weiter bringe ich Sie nicht. Und jetzt bitte direkt nach Hause.“
Sie steigt aus.
„Vielen Dank. Sie... Sie sind
prima, M’sieur. Jetzt geht’s mir viel besser.“
Sie gibt mir die Hand. Eine
zarte, schöne Hand.
„Sagen alle! Gute Nacht,
Mademoiselle Delay...“ Ich muß lachen. „...Delay! Komischer Name für einen
Weinhändler, finden Sie nicht?“
Sie lächelt.
„Oh ja. Aber... ich will Sie
nicht ärgern, vor allem nicht beim Verabschieden. Aber der Witz ist nicht neu,
wissen Sie...“
„Dachte ich mir. Ich glaub, ich
selbst hab
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