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ihn auch schon mal gemacht.“
Sie entzieht mir ihre Hand,
beugt sich zu mir runter.
„Gute Nacht“, sagt sie. Wie
gehaucht.
„Gute Nacht, Chris.“
Da geht sie hin. Ich sehe ihr nach.
Sie eilt auf ihr Haus zu, hüpft leichtfüßig über das trübe Rinnsteinwasser. Ein
hübscher Käfer, der Angst hat. Vielleicht doch nicht ohne Grund.
Uneingestanden, aber deswegen nicht weniger konkret. Warum sollte dieser
Schürzenjäger Montolieu schließlich gegen die verführerischen Reize seiner
Stieftocher immun sein? Jung und schön. Schön und gut. Plötzlich dreht sich
alles bei mir. Ich versinke in einem unwirklichen Gefühl. Wie in einem Traum.
Als hätte ich alles schon mal gesehen, gehört, erlebt. Déjà-vu. Delay...
Weinhändler... Christine... wie in einem Traum. Bin wohl das Spielzeug dieses Momentangedächtnisses. Kann vorkommen, wenn man nicht
ganz in Form ist. Dieses Gefühl hatte ich neulich schon mal, unter dem
Eisengerüst der Achterbahn, als die beiden Flics in Zivil auftauchten. Wie ‘ne
Art Projektion. Ich sah nämlich nicht Garbois und seinen Kollegen, sondern
Grégoire und mich, an der Gare de Lyon, mitten unter den Reisenden. Und in
diesem Moment hatte sich meine Theorie über Lancelin zu bilden begonnen.
Unbewußt natürlich. Nur eine einfache Projektion...?
12
Im Rebensaft
Ich fahre zum Schlafen ins
Büro. Dabei bin ich aufgekratzt wie kein zweiter. Schlaf werde ich bestimmt
nicht finden. Aber wenigstens ausruhen muß ich mich. Schließlich bin ich nicht
der Eiserne Heinrich. Die Prügel von gestern abend stecken mir immer noch in
den Knochen. Und die Arbeit fängt erst an! Also muß ich schlafen. Wenn’s sein
muß, mit ‘nem halben Röhrchen Schlaftabletten. Es muß sein.
* * *
Das Telefon weckt mich. Auf
meiner Uhr ist es kurz nach elf. Ich nehme den Hörer ab und gähne in den
Apparat.
„Hier Faroux!“ dröhnt es am
anderen Ende. Als wollte er mich vom Quai des Orfèvres aus fressen; mich, das
Telefon und die Zehnkilometerleitung. „Schlafen Sie noch? Dann wecke ich Sie
jetzt. Hören Sie! Ich will nicht die letzten Steuergroschen verschleudern, um
alle Nase lang zwei Leute bei Ihnen vorbeizuschicken. Und vorladen will ich Sie
auch nicht. Könnte sein, daß Sie gar nicht reagieren. Also telefoniere ich...“
„Hab ich begriffen. Aber Ihre
ellenlange Einleitung, die versteh ich nicht.“
„Offensichtlich nicht das
einzige, was Sie nicht kapieren. Zum Beispiel haben Sie nicht kapiert, daß Sie
sich erstens raushalten und zweitens bei mir melden sollen, wenn Sie sich schon
nicht raushalten.“
„Was hab ich denn jetzt schon
wieder gemacht?“
„Was Sie besser nicht gemacht
hätten. Sie haben einen Zeugen ausgegraben, der Lecanut gekannt hat. Und nicht
nur, daß Sie nicht Bescheid gesagt haben...“
„Keine Zeit.“
„Schnauze! Keine Zeit! Daß ich
nicht lache! Sie haben dem Zeugen sogar geraten, nicht zur Polizei zu gehen.
Jetzt erzählen Sie mir nicht, Sie wollten uns überraschen. Zum Glück denkt
dieser Mann staatsbürgerlicher als Sie. Seine Aussage war zwar ‘n Dreck wert,
aber immerhin... er ist zu uns gekommen. Sie wissen doch, von wem ich spreche,
hm?“
Ich seufze ergeben.
„Von einem Weinfritzen namens
Charles Montolieu, stimmt’s?“
„Ganz genau. Hört sich an, als
langweile ich Sie.“
„Überhaupt nicht. Müßte schon
schlimmer kommen.“
„Sie haben so komisch geseufzt.
Gefiel mir gar nicht.“
„Hab ‘n Kater. Der hat miaut.
Gibt’s jetzt ‘n Seufzererlaß von der Tour Pointue...? Herrgott nochmal! Was
soll das denn mit dem Zeugen, der keiner ist und deshalb besser die Schnauze
halten sollte? Sie haben selbst gesagt, daß seine Aussage...“
„Seine Aussage, ja. Aber er hat
uns auf Leute aufmerksam gemacht, die Lecanut während seiner Zeit in Bercy
gekannt hatte und die eventuell noch mit ihm in Verbindung standen.“
„Ach, wissen Sie, die Leute,
mit denen er gearbeitet hat...“
„Ihre Meinung ist mir
scheißegal. Deswegen ruf ich nicht an. Ich ruf an, um Sie anzuschnauzen und
nochmal dran zu erinnern, daß Sie hübsch brav sein sollen. Was ich hiermit
getan hab. Salut!“ Er knallt den Hörer auf die Gabel. Ich geh etwas zarter mit
dem Apparat um. Was du nicht willst, das man dir tu... Ich fühl mich zum
Kotzen. Daß man zum Rasieren auch immer in den Spiegel sehen muß! Ich mach ‘ne
Grimasse.
„Salut, Bébert“, begrüße ich
mich. „Du hier?“
Es gibt Tage, an denen sehe ich
genauso schlau aus wie
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