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erzählt hat. Zögernd fügt sie hinzu:
„Sie... Sie werden jetzt sicher
schlecht von mir denken, nicht wahr?“
„Ich denke überhaupt nichts.“
„Hm... Also, ich hab mir
gesagt: bei Albert bist du in... äh... Sicherheit. Hier wird dich niemand
suchen.“
„Wie im Film, hm? Brachte ‘n
bißchen Abwechslung in den bürgerlichen Alltag.“
„Vielleicht. Und außerdem war
er sehr nett, dieser Albert...“
„Bitte! Verschonen Sie mich mit
Einzelheiten. Und als ich in den Waggon gekommen bin?“
„Erst hab ich überhaupt nichts
kapiert. Dann dachte ich, ich würde was kapieren. Aber wahrscheinlich hab ich
immer noch nichts kapiert. Und als Sie sagten, Sie seien Privatdetektiv, dachte
ich, Sie kämen von meinen Eltern. Dann haben Sie das Foto gezeigt. Ich war mir
ganz sicher. Ein Foto von Monsieur Lecanut, einem Freund unserer Familie...
Kein Zweifel: Sie kamen von meinen Eltern. Ich verstand zwar Ihre Komödie nicht
so ganz, aber für mich stand fest, daß Sie mich gesucht hatten. Jetzt würde es
wieder zurück nach Hause gehen. Ich hab den Kopf verloren und... äh... na ja...
Ihr Auto geklaut. Entschuldigen Sie, M’sieur.“
„Vergessen Sie’s.“
„Als ich wegfuhr, ist mir erst
aufgefallen, wie blöd ich mich benommen hatte. Ich war ganz weggetreten, und da
hab ich ein Auto gerammt.“
„Und den Flics wollten Sie
Ihren Namen nicht verraten.“
„Nein.“
„Immer noch aus demselben
Grund? Damit man Sie nicht nach Hause bringen konnte?“
„Ja. Lieber wär ich ins
Gefängnis gegangen.“
„Weil Sie sich da sicher
gefühlt hätten, nicht wahr? Wie im Güterwaggon.“
„So ähnlich, ja.“
„Hören Sie, Chris“, sage ich
ernst. „Ich hab Ihnen die Frage eben schon mal gestellt. Und Sie haben auch
schon geantwortet. Aber ich frag nochmal: was ist los in diesem Haus, daß Sie
lieber in einem Güterwaggon sind oder sogar im Gefängnis?“
„Ich hab dort Angst.“
„Aber wovor? Vor wem?“
„Weiß ich nicht. Instinktiv. Mein
Gott! Ich weiß es nicht...“ Plötzlich bricht sie in Schluchzen aus. Ich
beruhige sie, so gut ich kann. Dann fahre ich fort:
„Mir ist gesagt worden, Sie
seien eigenwillig und leichtsinnig. Aber ich glaube, Sie sind vor allem
übersensibel. Bei Ihnen wirkt ein Trauma nach, manchmal mehr, manchmal weniger.
Der Ursprung liegt Jahre zurück. Ich kenne diesen Ursprung, die Ursache des
Traumas. Monsieur Montolieu ist Ihr Stiefvater. Ein Stiefvater ist kein Vater.
Hat er selbst gesagt. Sie lieben ihn nicht, Chris. Sie haben Angst vor ihm.“
„Meinen Sie?“
„Ich bin sicher.“
„Aber ich habe gar keinen
Grund, Angst vor ihm zu haben.“
„Unbewußt. Er hat den Platz
Ihres Vaters eingenommen, an der Seite Ihrer Mutter. Würd mich wundem, wenn Sie
ihn lieben.“
„Sie haben recht“, gesteht sie.
„Ich liebe ihn nicht.“
„Und von da bis zur Angst ist
es nur ein kleiner Schritt. Wie alt waren Sie, als Ihre Mutter wieder
geheiratet hat?“
„Das war vor drei Jahren. Ich
war siebzehn. Als Papa starb, war ich kaum fünfzehn.“
„Sie liebten ihn sehr, Ihren
Vater?“
„Oh, ja“, sagt sie mit
versagender Stimme. „Er war ein schlechter Mensch, aber ich habe ihn geliebt.“
„Ein schlechter Mensch?“
„Mama hat oft geweint wegen
ihm. Und eines Tages hatte sie genug...“
Genug? Ich sehe Christine
ungläubig an. Sollte... Also, keine Witze, hm? Nicht noch mehr Geheimnisse.
Sonst verlier ich den Überblick. Verlogen soll die Kleine auch sein...
Vielleicht will sie mir jetzt erzählen, daß ihre Mama sich den Mann vom Hals
geschafft hat, der sie so traurig gemacht hat!
„Genug? Wie meinen Sie das?“
„Na ja, sie hat sich einen
Liebhaber genommen.“
Uff! Ich atme tief durch. Einen
Liebhaber. Also nichts Ernstes. Die übliche Ablenkung. Wird sogar empfohlen.
„Aber auch mein Stiefvater hat
Mama oft zum Weinen gebracht“, fährt Christine fort. „Aus denselben Gründen.
Andere Frauen...“
Sehr schön. Delay und Montolieu
teilten nicht nur die Liebe zum Wein, sondern auch die zu Röcken. Wer sich
ähnlich ist, tut sich zusammen. Aber worüber beklagt sich die Ex-Witwe? Die
Gründe für ihre Heirat mit Montolieu waren doch sicher kommerzieller Natur.
„Ihm verzeihe ich das aber
nicht“, fährt mein Fahrgast fort. „Ich würde ihn gerne überführen. Aber das ist
unmöglich.“ Fehlt nur noch, daß sie mich engagieren will, Beweise für das
Lotterleben des Herrn Stief-Papa zu liefern!
„Er hält sein Spiel geheim.
Oder besser
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