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Stiefvater wird seine Funktion
haben, mehr nicht.“
„Bravo!“ sage ich lächelnd.
„Ich kann Sie mir zwar nicht als Weinhändlerin vorstellen, aber ich werd Sie
nicht davon abbringen. Werd Sie mir warmhalten! Denn... man kann nie wissen...
wenn wieder alles rationiert wird... Dann komm ich nämlich nach Bercy. Da sitzt
die liebe Christine, und hopp !, roll ich ‘n
Riesen-Weinfaß nach Hause.“
Christine schüttelt den Kopf,
daß die kastanienbraunen Haare nur so fliegen. Sie sieht mich finster und ernst
an.
„Oh nein!“ sagt sie
entschieden. „In Bercy wird man mich nicht sehen. Nie.“
„Warum?“
„Ich hasse diese Weinkeller.“
„Der Gestank, hm?“
Im Hamlet, glaub ich, in
der Oper, wird gesungen: „Wein vertreibt die Traurigkeit.“ Der Wein vielleicht.
Aber nicht, wenn man nur von ihm spricht. Christine sieht mich traurig an.
„Nein, nicht der Gestank...“
sagt sie schleppend. „Die Erinnerung. Papa ist dort gestorben. Er war ein
schlechter Mensch, aber er war mein Vater.“
„Ach! Er ist eines
plötzlichen Todes gestorben? Dann hat er wenigstens nicht gelitten,
meine Liebe.“
„Doch.“
Ihre Augen füllen sich mit
Tränen.
„Er ist ertrunken. Ein Unfall.“
Sie sieht mich flehend an.
„Bitte, stellen Sie mir keine
Fragen. Ich kann darüber nicht sprechen. Es ist zu scheußlich...“
Sie steht auf.
„Sollen wir gehen?“
Sie lächelt mich tapfer an.
„Sind Sie mir nicht böse?“
Ich heb die Schultern. Sie sind
leicht wie Schwanendaunen.
„Was suchen Sie da?“
Heftig nimmt sie meine Hand.
„Sie sind so nett... Und ich
hatte gestern Angst vor Ihnen... Dabei sind Sie so nett... und so mitfühlend...
doch, das sehe ich!“
„Ja, ja“, sage ich nur.
Ich fahre Christine zurück in
die Avenue de Saint-Mandé. Dann nehme ich Kurs auf den Boulevard de Bercy.
* * *
Ich parke meinen Wagen an der
hohen Mauer des Güterbahnhofs. Sie zieht sich endlos hin, traurig und düster.
Durch das Tor an der Place Lachambaudie (der Bacchus-Poet, sagen manche) gehe
ich in die Cité des Vins. Der Pförtner zeigt auf die Büros und Keller
des Hauses Delay und Montolieu. Sie liegen ganz hinten, fast an der Rue de
Vouvray. Hier tragen nämlich alle Straßen Namen von renommierten Weinen oder
Weinbergen.
Ich begebe mich in das
Labyrinth des kleinen Weinstädtchens. Es wird durch hohe Gitter vor dem Ansturm
der durstigen Kehlen geschützt, aber nicht vor dem Hochwasser der Seine, da es
tiefer liegt als die Quais.
Überall stehen Fässer,
Bottiche, riesige geschwärzte Trichter, Werkzeuge der Küfer. In einer Nebenstraße
steht ein einsamer Waggon. Wie ein Besoffener, der seinen Rausch ausschläft.
Ein paar Schritte weiter liegt eine kaputte Korbflasche. Der Wein zieht sich
wie ein Netz über das Kopfsteinpflaster. Der Geruch der Weinfässer hängt in der
Luft. Den Bäumen scheint es nichts auszumachen. Die können was vertragen. Aus
den kleinen Pavillons, die den Händlern als Büros dienen, hört man Telefone
läuten, seltener Schreibmaschinengeklapper. Geräusche, die mehr mit Wein zu tun
haben — zum Beispiel das Hämmern auf Fässerreifen — , kommen aus den Faßbindereien. Aus den Laboratorien, wo Chemiker den Wein
verschneiden, kommt nichts. Und schon gar nicht das Geheimnis ihrer
Zauberformeln.
Endlich stehe ich vor dem Hause
Delay und Montolieu. Das weinrote Feston (Branche verpflichtet!), das das
schräg abfallende Dach schmückt, schreit nach einem ordentlichen Pinsel. Hinter
dem Pavillon stapeln sich Fässer, und noch weiter, auf einer Art Abstellgleis,
stehen zwei Tankwaggons. Auf den gerundeten Seiten les ich den Namen „Delay“ in
großen schwarzen Buchstaben, die mit der Zeit verwischt sind.
Charles Montolieu, Hut auf dem
Kopf, Pekarilederhandschuhe in der Hand, ist über mein Erscheinen ziemlich
erstaunt.
„Was verschafft mir das
Vergnügen?“ ruft er mir entgegen. „Fünf Minuten später, und Sie hätten mich
nicht mehr angetroffen. Ich muß weg. Was kann ich für Sie tun?“
Ich schenke ihm mein
bezauberndstes Lächeln.
„Ich wollte gegen Sie eine
Strafe verhängen. Ihretwegen haben mich die Flics angeschnauzt. Von dem
Geschrei hab ich Durst gekriegt. Sie schulden mir ‘n paar Flaschen.“
„Sie lassen sich nicht
unterkriegen, hm?“
„Kommt auf den Tag an.“
Er seufzt.
„Also, welche Farbe? Weiß?
Rot?“
„Beides. Und noch etwas Rosé,
für die Schaltjahre...“
Er hebt die Schultern, als
wolle er sagen: ,Besoffene sind mein
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