Noah: Thriller (German Edition)
hing.
Celines Blicke suchten einen Anker im Raum. Am liebsten, auch das konnte er erkennen, wollte sie die Zeit anhalten. Wollte ihr ganzes Leben wie einen alten Videofilm zurückspulen und die Kassette noch einmal von vorne laufen lassen in der Hoffnung, in der Wiederholung einen besseren Film zu sehen. Einen, in dem sie nicht verriss. Einen, in dem sie wie geplant ihrem Vergewaltiger den Kopf wegschoss.
Und nicht Amber.
Noah hatte sie gezwungen vorzugehen. Trotz ihres kaputten Fußes. Als Schutzschild.
Die Entführerin starb stumm. Mit geschlossenen Lippen, ohne ein Stöhnen, ohne ein Wimmern.
Genauso wie der halbnackte Aufpasser, dem Noah eine Kugel ins Gehirn jagte, als dieser die Waffe, die Celine Henderson aus der Hand gefallen war, vom Boden klauben wollte.
14. Kapitel
»Ich halte das nicht mehr aus!«
Oscars Kopf schien zu platzen. Dunkelrot angelaufen, die Wangen aufgebläht, beide Hände an die Schläfen gepresst, spießte er Noah mit den Augen auf. Er stand in der offenen Tür. Feuchtkalte Luft drängte an ihm vorbei in den Bungalow hinein.
»Das mach ich nicht mehr mit. Ich kann nicht mehr.«
»Du solltest draußen warten«, entgegnete Noah, nachdem er sich vergewissert hatte, dass sowohl Amber als auch der Wachmann wirklich tot waren.
»Oh, tut mir leid, dass dich meine Anwesenheit beim Töten stört.«
Oscar stand an der Schwelle zur Hysterie. Noah hatte sich schon gefragt, wann die Erlebnisse der letzten Stunden ihren Tribut fordern würden. Jetzt war es so weit. Ein falsches Wort, nur noch ein kleiner Schubs, ein Schritt weiter in Richtung Abgrund, und sein Begleiter würde in ein seelisches Loch stürzen.
»Scheiße, so geht das doch nicht weiter. Das ist jetzt …« Oscar nahm wie ein Erstklässler seine Finger beim Abzählen zu Hilfe. »… die erste, zweite … Mann, die siebente Leiche. Verdammt, ich verlier langsam den Überblick.« Er lachte, wie nur ein Mensch lacht, der seine Gefühle nicht mehr unter Kontrolle hat.
»Still!«, herrschte Noah ihn an. Am liebsten wäre er zu ihm zurückgegangen und hätte ihm eine Ohrfeige verpasst, aber jetzt gab es Wichtigeres zu tun. Celine hatte Vorrang. Sie kauerte auf dem Boden, ihr Gesicht hinter den gefesselten Händen versteckt. Mit erhobenen Armen, zum Zeichen, dass er keine Waffe mehr hielt (die Maschinenpistole hatte er auf dem Küchentresen abgelegt, die Pistole, die er Elvis abgenommen hatte, und die Waffe, die er seit dem Adlon bei sich führte, beulten seine Jackentaschen aus), näherte er sich der weinenden Journalistin so langsam wie möglich.
»Ich bin Noah«, sagte er, als ihm einfiel, dass sie ihn noch nie gesehen hatte. Wegen der immer noch geöffneten Tür war die Temperatur im Wohnzimmer stark gesunken. Trotz des Feuers im Kamin konnte man schon seinen Atem sehen. »Ich tue Ihnen nichts.«
»Nichts?«, rief Oscar und fuchtelte mit den Armen ziellos in alle Richtungen. »Das hier nennst du NICHTS? Du betrittst einen Raum, und Menschen sterben wie die Schmeißfliegen.«
Wütend schmiss er die Tür zu, dass die Gläser in der Wohnzimmervitrine klirrten. Das Feuer im Kamin loderte auf, Noah spürte bereits, wie es wärmer wurde.
Er stieg über den Toten hinweg und kniete neben Celine nieder. Unter seiner sanften Berührung zuckte sie zusammen. Ihre verschränkten Finger öffneten sich, bildeten einen schmalen Zaun vor den Augen.
»Hallo.«
Erst jetzt schien sie seine Gegenwart zu registrieren. Hastig versuchte sie, ihren Slip wieder nach oben zu ziehen, was ihr wegen der Kabelbinderfesseln nicht gelingen wollte.
»Ich brauch ein Messer«, sagte Noah zu Oscar.
»Wieso? Willst du ihr zum krönenden Abschluss die Kehle durchschneiden? Hast du noch nicht genug für heute?«
Ohne sich zu ihm umzudrehen, hob Noah den Arm und gab seinem Begleiter damit ein unmissverständliches Zeichen, endlich leise zu sein. »Mach es für sie nicht noch schlimmer.«
»Sagt der Richtige«, maulte Oscar, aber Noah konnte hören, wie er in Richtung Küche watschelte.
»Es ist vorbei«, sagte er leise zu Celine. »Die Frau und die Männer, die Sie entführt haben, können Ihnen nichts mehr tun.«
Eine Schublade wurde aufgezogen. Besteck klapperte. Die vertrauten, alltäglichen Geräusche schienen Celine ein wenig zu beruhigen. Ihre Lippen zitterten, aber sie formulierte ihren ersten Satz: »Was ist passiert?«
Du wurdest in ein fremdes Land verschleppt und beinahe vergewaltigt. Aber das ist nicht die Antwort, die du hören willst,
Weitere Kostenlose Bücher