Noah: Thriller (German Edition)
längerer Suche unter seinem Fahrersitz gefunden hatte) besser versorgen zu können. Immerhin war der Blutverlust gestoppt, aber sie würde dringend eine professionelle Wundversorgung benötigen. Und eine Tonne Schmerzmittel, sobald sie wieder aufwachte, womit jeden Moment zu rechnen war.
Ihre Augenlider flatterten bereits, die Atmung wurde immer unregelmäßiger, und die linke Hand zuckte scheinbar im Takt zu dem Rhythmus eines Liedes, das gerade im Radio lief; irgendein unangemessen fröhlicher Schlager einer holländischen Band, der Noah auf die Nerven ging, aber es war schon schwierig gewesen, überhaupt einen Sender zu finden, auf dem nicht unentwegt geredet wurde. Die meisten unterbrachen ihr Programm alle zwei Minuten für Sondermeldungen und ratterten auf Niederländisch eine Eilmeldung nach der anderen herunter. Auch wenn Noah nur jedes dritte Wort verstand, war er sich sicher, dass sich die Reporter ständig wiederholten.
Manila. Grippe. Quarantäne. ZetFlu.
Am aktuellsten war wohl die Entwicklung über einen prognostizierten Medikamentenengpass. Angeblich gab es ein wirksames Gegenmittel, das jedoch erst ab morgen Mittag flächendeckend für die Versorgung der Bevölkerung zur Verfügung stand. Apotheken und Kliniken, die es bereits führten, mussten wahre Belagerungszustände infolge eines Ansturms besorgter Bürger aushalten. Der US-Präsident bereitete sich auf eine Ansprache an die Nation vor. Wenn Noah die Meldungen richtig verstanden hatte, war es mancherorts bereits zu Schlägereien und Tumulten gekommen. Ein Reporter hatte sogar das Wort »Bürgerkrieg« in den Mund genommen.
»Viele Menschen. Viel zu viele Menschen.«
Er schloss die Augen und fragte sich, weshalb sein Gedächtnis auf einmal wieder so gut funktionierte, wenn auch nur in Bezug auf die Sätze, die ihm Oscar vor wenigen Stunden in sein Hirn gepflanzt hatte. »Ende der siebziger Jahre soll sich innerhalb der Bilderberger eine Splittergruppe gebildet haben, denen die Ansätze zur Lösung des Überbevölkerungsproblems nicht radikal genug waren.«
War es denkbar, dass er Teil dieser Gruppe war?
Wollten sie mich deshalb nicht sofort töten? Weil ich einer von ihnen bin?
War seine Amnesie in Wahrheit keine Folge der Schussverletzung, sondern eine Nebenwirkung gefährlicher Stoffe, mit denen er experimentiert hatte? Hatte er Room 17, wenn es denn diese radikale Unterorganisation der Bilderberger wirklich gab, mit einer Biowaffe versorgt?
Und kann ich deshalb so gut kämpfen? Weil ich nicht nur ein Wissenschaftler, sondern ein Massenmörder bin?
Er spürte, wie Oscar in die Bremse trat, während er die Stimme seines Spiegelbilds aus dem Traum wieder hörte:
»Ich bin kein Mörder. Ich bin etwas sehr viel Schlimmeres. Für mich gibt es keinen Begriff.«
Noah schloss die Augen in der Hoffnung, die Stimmen in seinem Kopf zum Schweigen zu bringen, doch das Gegenteil trat ein: Die Erinnerungsfetzen stießen jetzt wie Rangierwaggons gegeneinander.
»Darf ich es behalten?« / »Man kann meine Taten nicht ungeschehen machen, dafür ist es zu spät.« / »… keine Zeit, um das Video zu verstecken …« / »Rom. Amsterdam. Mombasa. Das ist die Rettung!«
»Noch fünf Minuten«, rief Oscar von vorne und gähnte. Noah riss die Augen auf und war wieder voll da.
Sein Mund war trocken, daher suchte er in seinen Taschen nach dem Stück Zucker, das er vorhin aus dem Speisewagen mitgenommen hatte, und stieß auf Oscars Brieftasche. Er zog sie hervor, um sie ihm nach vorne reichen zu können, dabei öffnete sie sich in der Mitte und gab den Blick auf die Kreditkartenschlitze frei.
Nichts.
Kein Ausweis, keine Papiere, keine Karten.
Wie nicht anders zu erwarten.
Auch das Bargeldfach war leer. Nur dort, wo üblicherweise die Scheine aufbewahrt wurden, stach die Ecke eines durchsichtigen Schutzumschlags hervor. Neugierig geworden, zog Noah den Umschlag heraus und betrachtete die stark abgegriffenen Fotos durch die Klarsichtfolie.
Der gleiche melancholische Gesichtsausdruck.
Noah erkannte die Frau sofort wieder. Es war ihr Gesicht, das Oscar in dem Amulett um seinen Hals trug. Ihr Porträt, das er jeden Abend vor dem Einschlafen küsste.
Er zog das größte Foto aus der Hülle, um zu sehen, ob ein Datum auf der Rückseite notiert war – und erstarrte.
Sein Blick wanderte zu Oscars Hinterkopf.
Was hat das zu bedeuten?
Noah wendete die Aufnahme. Und wieder, um noch einmal die Rückseite zu betrachten.
Das ist kein Foto.
Zumindest war
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