Noah: Thriller (German Edition)
und verschwendete eine kostbare Sekunde damit, sich zu fragen, wie die Taschenlampe so schnell in ihre Hand gewandert sein konnte.
Er spürte einen stechenden Schmerz an der Schläfe. Dann wurde es schwarz.
16. Kapitel
Oosterbeek, Niederlande
Von der zum Wohnzimmer offenen Küche führte ein Durchgang zu den weiteren Räumen des Bungalows. Noah stieg durch eine kleine, hölzerne Tür neben dem Kühlschrank drei Stufen nach unten, wobei er den Kopf einziehen musste, um nicht gegen die niedrige Decke zu stoßen.
Celine, die sich geweigert hatte, alleine zurückzubleiben, hielt sich dicht hinter ihm. Alles in Noah hatte sich dagegen gesträubt, in Begleitung einer fremden, zudem schwangeren Person in unbekanntes Terrain vorzudringen. Aber wer konnte schon sagen, wo für sie weniger Gefahren lauerten: im vorderen Bereich des Hauses oder in den hinteren Räumen, in denen Oscar sich gerade aufhielt und auf sein Rufen nicht mehr reagierte? Celine unbeaufsichtigt im Wohnzimmer zurückzulassen wäre vermutlich eine schlechtere Option gewesen, als sie mitzunehmen. Und immerhin schien die Aufregung ihren emotionalen Panzer aufgebrochen zu haben; sie agierte nicht mehr wie in sich selbst versunken, sondern wirkte beinahe kampfbereit. Das Küchenmesser, mit dem Noah ihre Fesseln gelöst hatte, hatte sie jedenfalls nicht mehr hergeben wollen.
»Oscar?«
Noah rief ein zweites Mal den Namen seines Begleiters.
Nach den ersten Schritten hatte ein Bewegungsmelder das automatische Deckenlicht aktiviert. Sie gingen durch einen bildergesäumten Flur. Dezente Kohleradierungen wechselten sich mit knalligen Öllandschaften ab. Die meisten Rahmen hingen schief. Noah kannte keinen der Maler, hätte noch nicht einmal zu sagen vermocht, welcher Stilrichtung oder Epoche die Bilder zuzuordnen waren.
So viel zum Thema 1-Million-Dollar-Künstlergenie.
»Hier entlang.«
Oscars Stimme war jetzt näher, aber weiterhin nur dumpf verständlich. Abgeschirmt durch eine lederbeschlagene Tür am Kopfende des Ganges. Sie war angelehnt, und helles, gleißendes Licht fiel in den Flur, als Noah sie aufzog.
Das Fenster zum Sterben, war der erste Gedanke, der ihm durch den Kopf schoss.
Er stand in einem von bauchigen Halogenlampen ausgeleuchteten Raum, der früher einmal aus zwei Zimmern bestanden haben musste. Dort, wo einst die Zimmergrenze verlief, teilte jetzt eine Glaswand den Raum in zwei Abschnitte. Einen vorderen schmalen Besucherbereich und eine dahinterliegende, etwas großzügiger bemessene Intensivstation.
»Wer ist das?«, fragte Oscar, ohne den Blick von dem Kranken hinter der Scheibe zu wenden.
Hinter dem Fenster zum Sterben.
»Ich habe keine Ahnung«, sagte Noah.
Ein Satz, der langsam zu meinem Lebensmotto wird.
Ein alter Mann (Noah schätzte ihn auf über siebzig, aber das war in Anbetracht seines elenden Zustands nur schwer zu sagen) dämmerte flach atmend auf einem rollbaren Krankenhausbett vor sich hin. Außer dem stetigen Rauschen einer Lüftung drang kein Geräusch aus der vermutlich hermetisch versiegelten Krankenstation zu ihnen nach draußen. Eine zylindrische Plexiglaskammer, die etwa in der Mitte der Scheibe eingelassen war und die an ein überlebensgroßes Reagenzglas erinnerte, fungierte als Schleuse. Jemand hatte sich große Mühe gegeben, den Patienten von jeglichem Kontakt mit der Außenwelt abzuschirmen. Eine verständliche Maßnahme. Dem Mann waren sämtliche Haare ausgefallen. Blutiger Speichel tropfte auf ein bereits fleckiges Kopfkissen. Seine geschlossenen Augen waren unnatürlich tief eingesunken.
»Manila-Grippe«, keuchte Celine. Noah wunderte sich, dass sie nicht schon längst das Weite gesucht hatte.
Der Kranke war lediglich mit einem dreckigen Nachthemd bekleidet. Eine Decke gab es ebenso wenig wie einen Arzt oder Pfleger.
Wie hat Amber dieses Haus genannt? Den Sitz meiner Erinnerungen?
Noah sah sich im Vorraum um.
Eher der Sitz des Todes.
Nicht nur der Patient befand sich im Auflösungszustand. Der Bereich, in dem sie standen, sah aus, als wäre er erst vor kurzem fluchtartig verlassen worden.
Zwei weiße Ganzkörperschutzanzüge lagen neben aufgerissenen Medikamentenpackungen auf dem Boden. Achtlos zurückgelassen, vielleicht aus Angst vor dem, was das Krankenzimmer beherbergte. Oder weil die medizinische Wissenschaft hier schlicht nichts mehr ausrichten konnte.
»Was sollen wir tun?«, wollte Celine wissen.
»Jedenfalls nicht reingehen«, antwortete Oscar.
Der Alte lag unverkennbar im
Weitere Kostenlose Bücher