Noah: Thriller (German Edition)
räusperte und flüsternd weiterlas:
»Die Million steht schon bereit, aber niemand will sie haben!« Das erklärte der Chefredakteur der
New York News
den verblüfften Reportern auf einer am Sonntag einberufenen Pressekonferenz. Dabei sucht seine Zeitung und mit ihr das halbe Internet nun schon seit Wochen mit Hochdruck nach dem Urheber einer abstrakten Zeichnung, die der
New York News
zugestellt wurde. In ganzseitigen Anzeigen und sogar auf Plakaten in der Stadt wird die Frage gestellt: »Künstler gesucht. Wer hat das gemalt?«
Es war Anfang des Jahres, als in der Leserbriefredaktion eine Paketrolle ohne Absender einging. Sie enthielt eine auf den ersten Blick naive Kindermalerei, betitelt als »Der Bach des Ostens«. Weil der Chefredakteur Kevin Rood das erstaunlich hochwertig laminierte Bild »zu schade zum Wegwerfen« fand, ließ er es rahmen und hängte es in seinem Vorzimmer auf, wo es einige Zeit unbeachtet blieb – bis Matthew Springfields, ein bekannter und einflussreicher Kunstkritiker, das Werk zufällig entdeckte, während er auf ein Interview wartete. »Die sich überlagernden Farben, die Anordnung der konträren Felder erzeugen ein solch strahlendes und zugleich diffuses Licht, dass ich für einen Moment glaubte, ein Frühwerk des jungen Mark Rothko vor mir zu haben.«
Springfields gab das Bild einigen unabhängigen Kunstexperten zur Schätzung, von denen zwei weitere ebenfalls zu dem Schluss kamen, dass dieses »Meisterwerk des Color Field Painting« von einem bislang unentdeckten Talent stammen müsse. Ein Galerist aus Miami taxierte den Wert des Bildes sogar auf über 1 Million Dollar, was zur Folge hatte, dass . . .
Noah hob kurz den Kopf, um nach Toto zu sehen. Lächelnd bemerkte er, dass der Welpe auf seiner Brust friedlich eingeschlafen war, weshalb er den Artikel stumm zu Ende las.
... sich namhafte Galeristen und Kunstagenten mit Vorschüssen zu überbieten begannen, sollte der Maler sich bei ihnen melden.
Doch alle Aufrufe verhallten ergebnislos. Der Urheber will anscheinend auch weiterhin anonym bleiben.
Und so suchen mittlerweile nicht nur die USA, sondern die gesamte westliche Welt im Internet nach dem Künstler, auf den ein Millionenvertrag wartet, und alle fragen sich: WER HAT
DAS
GEMALT?
Neugierig geworden, was das für ein Bild sein sollte, blätterte Noah eine Seite weiter, wo das Werk in einem halbseitigen Kasten zu sehen war.
Kaum hatte er einen ersten Blick darauf geworfen, wurde sein Mund trocken. Es knackte in seinen Ohren, und ihm wurde schwarz vor Augen. In seinem Inneren hörte er einen Schrei. Spitz und zitternd wie von einer Person, die in dem Waggon einer Geisterbahn sitzt, die sich unerwartet in die Tiefe stürzt.
Er hörte das Rattern der Räder auf den Gleisen, spürte den Fahrtwind im Gesicht, und Bilder sprangen ihn an wie Figuren aus den Nischen eines Gruselkabinetts.
Ein Zimmer.
Stimmen.
Kinderstimmen.
»Darf ich es behalten?« , fragte ein Junge.
»Wieso?«
»Es gefällt mir.«
Noah sah den Rücken eines Jungen, nicht älter als zwölf, dreizehn Jahre, der etwas in einen Koffer legte. Plötzlich veränderte sich das Bild. Der Junge verschwand. Und mit ihm das Zimmer. Jetzt sah er …
… einen Mann auf einem hellen Teppich. Direkt vor einem Kamin. Reglos.
Und dann der Fleck. So rot. Direkt unter seinem Kopf …
Nach dem jemand die Hand ausstreckte. Um ihn zu berühren, um … ihn umzudrehen.
Der spitze Schrei in seinen Ohren veränderte sich, wurde dunkler. Lauter.
So laut, dass Noah Probleme damit hatte, sich auf die Erinnerungen zu konzentrieren, die sich wieder zu verflüchtigen drohten.
Er suchte nach der Quelle des Lärms und drehte den Kopf in die Richtung, aus der er die Schreie vermutete.
Doch erst als er die Augen wieder öffnete, Totos Kläffen hörte und Oscar sah, der wild gestikulierend neben ihm kniete, wurde Noah langsam bewusst, dass er selbst es gewesen war, der lauthals um Hilfe geschrien hatte, während er mit der Geisterbahn in den Keller seiner Erinnerungen gerast war.
6. Kapitel
New York City, USA
An diesem Tag musste Celine lernen, dass es im Leben manchmal nicht mehr als ein kaum hörbares »Hm« braucht, um sämtliches Glück aus einer menschlichen Seele zu pressen.
»Was ist?«, fragte sie ängstlich.
Sie stützte sich mit den Ellenbogen hoch und versuchte, einen besseren Blick auf den Monitor zu erhaschen. Angeblich hatte Dr. Malcom in seiner Praxis nur die neuesten Geräte. »Er sieht aus wie mein
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