Noah: Thriller (German Edition)
vertraute einfach fest darauf, dass Mütter intuitiv wussten, was für ihren Nachwuchs das Beste war.
Heute allerdings verfluchte sie sich, das Kapitel Pränataldiagnostische Maßnahmen in ihrem Nachschlagewerk nur überflogen zu haben.
»Anhand der Ansammlung von Flüssigkeit im Bereich des Nackens können wir das Risiko von Fehlentwicklungen einschätzen«, erklärte ihr Dr. Malcom jetzt mit ruhiger Stimme. Für Celine hätte es keinen Unterschied gemacht, wenn er sie angeschrien hätte. In ihrem Kopf dröhnte nur ein einziges Wort: Fehlentwicklungen.
»Und?«, krächzte sie erstickt.
»Ich messe eine Transparenz von 3,9.«
»Und das ist schlecht?«
»Nicht direkt schlecht. Alles bis NT 2,5 ist unauffällig. Alles darüber müssen wir wegen des Verdachts auf Chromosomenanomalien abklären.«
»Doktor?«
»Ja?«
»Können Sie bitte den Zahlenmist sein lassen und mit dem Fachchinesisch aufhören?«
»Ja, Entschuldigung.« Er räusperte sich. »Bei einem Befund, wie ich ihn hier sehe, besteht die Wahrscheinlichkeit einer Trisomie. Sorry, aber ganz ohne Fachausdrücke geht es nicht. Sie haben doch sicher schon einmal vom Downsyndrom gehört.«
Sie meinen die Kinder mit dem runden Gesicht, die so gerne lächeln und sprechen, als wären sie taubstumm, und die von gesunden Menschen oft abfällig als Mongoloide bezeichnet werden?
Celine nickte mit Tränen in den Augen. Schlagwörter wie »geistig behindert«, »zurückgeblieben« und »Mondgesicht« hallten durch ihren Kopf, ohne dass sie etwas dagegen tun konnte. Sie hatte die Reportagen über Menschen mit dieser Krankheit gesehen; ihre eigene Zeitung hatte einmal einen Spendenaufruf gestartet, um einem kleinen Jungen mit Downsyndrom die Herzoperation zu finanzieren, die sich seine Eltern nicht leisten konnten.
»Schauen Sie mich nicht so entsetzt an, Celine. Die Diagnose ist alles andere als gesichert. Wir müssen weitere Tests durchführen.«
»Was für Tests?«
»Eine Fruchtwasseruntersuchung zum Beispiel, aber die empfehle ich erst ab der vierzehnten Schwangerschaftswoche, zuvor ist die Gefahr eines Abgangs zu groß, damit müssen wir also noch etwas warten.«
»Gibt es nichts, was Sie sofort machen können?«
»Doch. Ich werde Ihnen jetzt Blut abnehmen«, antwortete der Arzt und erklärte ihr eine Reihe von Tests, nannte Zahlen, erläuterte Normabweichungen und gab ihr schließlich die Visitenkarte eines Kollegen für Pränataldiagnostik, an den er sie überweisen wollte.
Celine hörte zu, ohne viel von dem Gesprochenen zu behalten.
Sie fühlte sich wie eine Flipperkugel im Automaten. Eine unsichtbare Macht spielte mit ihrem Schicksal und hetzte sie von einer Ecke in die nächste. Im Abstand weniger Wochen war ihr Leben gleich zweimal komplett umgekrempelt worden. Zuerst, als sie von dem Wunder erfuhr, das in ihr heranwuchs. Und jetzt, als ihr der Gedanke langsam ins Bewusstsein sickerte, dass ihr Kind womöglich ein lebenslanger Pflegefall werden könnte.
Fröhlich und erwartungsvoll hatte sie die Praxis von Dr. Malcom betreten. Besorgt und in eine Wolke dunkler Gedanken gehüllt verabschiedete sie sich wieder von dem Gynäkologen.
Mein Baby ist krank.
Schlimmer, da war sie sich sicher, konnte der Tag nicht werden, als sie mit dem warmen Strom der Klimaanlagenabluft in die Kälte auf die 7th Avenue getrieben wurde.
In diesem Moment klingelte ihr Telefon.
7. Kapitel
»Nun hat’s dir also auch noch die letzte Sicherung rausgehauen.«
Oscars Stimme hallte von den Wandfliesen verstärkt durch die U-Bahn-Unterführung. Er sah Noah an, als hätte dieser sich gerade nackt ausgezogen und mit Totos Hundefutter eingerieben. Dabei bewegte er die rechte Hand wie ein Scheibenwischer vor seinem Kopf. »Hast du jetzt komplett den Verstand verloren?«
Nein. Im Gegenteil. Ich schätze, ich habe gerade einen Teil von ihm wiedergefunden.
Noah presste sich den Hörer des Münzfernsprechers, der trotz seines ramponierten Zustands verblüffenderweise noch tadellos funktionierte, fester ans Ohr. Oscar versuchte irgendwie an den Apparat zu kommen, vermutlich, um auf die Gabel zu patschen, damit die Verbindung unterbrochen wurde, doch Noah schirmte das Telefon mit seinem Körper ab wie ein Basketballspieler, der seinen Ballbesitz verteidigt.
»Leg auf!«
Noah, der sich immer noch wunderte, weshalb sein Begleiter ihm überhaupt ihre Ersparnisse ausgehändigt hatte (vermutlich, weil der durch seinen unvermittelt ausgebrochenen Schreikrampf viel zu
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