Noah: Thriller (German Edition)
dein Vater. Ich bin dein Anker. Dein einziger Halt zu deiner Vergangenheit.«
Nein, bist du nicht.
Noah kämpfte gegen die Wahrheit an, die sich immer schwieriger leugnen ließ. Er war ein Soldat. Beauftragt, seinen eigenen Bruder zu finden.
Klirr.
Wieder schmerzte die Erinnerung an das Geräusch zersplitternden Fensterglases.
»Es ist zu spät. Ich kann das Video nicht mehr verstecken.«
Wieder spürte er einen ziehenden, stechenden Schmerz, und von einer Sekunde auf die andere wurde sein Gehirn von zusammenhanglosen Bildern geflutet: der Kamin. Das Hotelzimmer. Pässe. Ausgebreitet auf dem Bett.
Sein Spiegelbild, das kein Spiegelbild war, sondern … David , der ihn anlachte: »Rom, Amsterdam, Mombasa. Das ist die Rettung!«
»Weißt du, wie schlimm es für mich war, nicht zu wissen, wo du steckst?«, bohrte sich Zaphires Stimme wieder in sein Bewusstsein und zerriss damit den schwachen Faden der Erinnerung. Noah musste ihn die ganze Zeit stoisch angestarrt haben, doch der Alte schien den Flashback nicht bemerkt zu haben und redete einfach weiter:
»Ehrlich gesagt weiß ich bis heute nicht, wie du ohne medizinische Hilfe so lange überleben konntest. Ein Teil von mir war sich sicher, du bist tot. Der andere rechnete damit, das Video irgendwann im Internet zu sehen.«
»Deshalb hast du die Suche nach mir nie aufgegeben.«
»Ja. Und wegen deiner Krankheit musste ich davon ausgehen, dass du dich irgendwann nicht mehr an den Auftrag erinnern kannst. Dass du, wie so oft, dich selbst irgendwann vergisst.«
Ein weiterer Blitzeinschlag erhellte für den Bruchteil eines Moments die dunkle Seite in Noahs Erinnerung. Er sah, wie David noch einmal zu dem Koffer auf dem Bett ging. »Schnell, bevor sie kommen …«
Und den Füller herausnahm!
»Wie ich schon sagte«, fuhr Zaphire fort, »nur wenige einschneidende Erfahrungen bleiben dauerhaft in deinem Gedächtnis verankert, John. So wie die Erinnerung an den Tag, an dem David dich verließ und in ein anderes Internat kam, in dem seine Hochbegabung besser gefördert werden konnte, während du wegen deiner Amnesien auf einer Schule bleiben musstest, die auf deine besondere Situation Rücksicht nahm.«
»Ihr habt mich mit einem Bild aus dem Versteck gelockt?«, fragte Noah, bemüht, sich nichts anmerken zu lassen. Wenn er sich nicht täuschte, hatte er in seinem Kopf gerade den Schlüssel zur Wahrheit gefunden, und um nichts in der Welt wollte er ihn seinem Vater übergeben.
»Ich wusste, dass du die angegebene Nummer anrufen würdest, sobald du es siehst«, sagte Zaphire. »Das hat schon mehrfach funktioniert. Es ist unser Trigger.«
»Trigger?«
»Ja. Noch mal: Ich bin dein Anker. Deine einzige Kontaktperson. Wir treffen, sehen oder sprechen uns alle drei Wochen, und ich erzähle dir Dinge aus deiner Vergangenheit, so wie jetzt. Normalerweise nehme ich die Sitzungen auf, wie du gesehen hast. Manchmal, wenn deine Lücken zu groß sind, zeige ich dir das Bild. Du reagierst sehr positiv darauf. Daher wusste ich, du würdest die Telefonnummer wählen, wenn du es in der Zeitung oder im Fernsehen siehst.
Ich wusste nur nicht, wo du dich aufhältst.
Wir gingen zwar fest davon aus, dass du dich noch in Berlin versteckst, nachdem wir dich aber über einen so langen Zeitraum nicht finden konnten, haben wir befürchtet, dir wäre es eventuell doch gelungen, die Stadt zu verlassen.«
»Daher dieser weltweite PR-Gag«, sagte Noah tonlos.
Im Gegensatz zu den Erlebnissen in der Hotelsuite mit seinem Bruder war die Erinnerung an das Lager aus Zeitungen, das er sich mit Oscar auf dem U-Bahnhof gebaut hatte, noch frisch, doch der Blick zurück erschien Noah schon jetzt wie durch ein umgedrehtes Fernglas: Oscar, Toto, der Artikel, das Münztelefon – alles deutlich sichtbar, aber nur sehr klein und aus weiter Entfernung. Dafür hatte sich ein unbeschreibliches Gefühl der Trauer um seinen Begleiter in den Vordergrund geschoben, das er auch in der Konfrontation mit seinem Vater nicht unterdrücken konnte.
»Die Geschichte von dem Millionen-Angebot für das Bild war die Idee von Kevin Rood, dem Chefredakteur von NNN. Alle Medien, nicht nur die von Room 17 kontrollierten, haben die Story verbreitet. Mit Erfolg, wie du siehst. Das Bild hat uns wieder zusammengebracht.«
»Und wenn ich mich nie gemeldet hätte?«
Wenn ich diese Zeitung nie gefunden hätte?
»Hätte es für Projekt Noah keinen Unterschied gemacht. Ob du es glaubst oder nicht, Noah, ich habe dich nicht nur
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