Noah: Thriller (German Edition)
Sie wissen nicht, wie Sie heißen?«
Sie eilte zu den Rolltreppen. Den Geräuschen nach fuhr der N-Train gerade ein.
»Ich habe mein Gedächtnis verloren.«
Celine spürte ein elektrisierendes Kribbeln auf den Unterarmen, wie stets, wenn ihr Unterbewusstsein ihr signalisierte, dass sie möglicherweise eine Story am Haken hatte.
»Befinden Sie sich derzeit in einem Krankenhaus, oder …?«
Sie ließ die naheliegenden Alternativen ( Psychiatrie, Gefängnis) unausgesprochen.
»Das ist eine zu lange Geschichte für ein Ferngespräch.«
Ja. Aber eine gute Geschichte.
So viel war ihr jetzt klar. Zwei Wochen lang hatte die Suchaktion nach dem anonymen Künstler alle Medien beherrscht. Bei der New York News waren sich die Verantwortlichen im Grunde einig gewesen, dass die Story nur ein PR-Gag war, bei dem es gar nicht darauf ankam, ob sich wirklich jemand meldete. Gerade die Tatsache, dass der wahre Urheber unentdeckt blieb, hatte die Sache am Ende so spektakulär gemacht – und für enorme kostenlose Werbung gesorgt. Doch dann gab es einen Flugzeugabsturz über dem Atlantik, Terroranschläge in Asien und schließlich die Pandemiegefahr, und neue, wichtigere Schlagzeilen verdrängten das Thema. Als man auf der Chefredaktionskonferenz beschloss, die Suche einzustellen, war man nicht unglücklich darüber, die Million nicht an irgendeinen Spinner auszahlen zu müssen, der mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit doch kein zweiter Mark Rothko war. Celine hatte sich ohnehin gefragt, was man an diesem Bild überhaupt finden konnte.
Sie erkannte gerne etwas, wenn sie ein Bild sah, was über Striche und Farbtafeln hinausging. Vincent van Gogh, Salvador Dalí, Leonardo da Vinci und selbst Picasso hatten ja auch nicht einfach nur Farbbeutel auf eine Leinwand geworfen.
Aber was verstand sie schon von moderner Kunst?
Wenn, dann verstand sie etwas von Gefühlen und Emotionen. Von Storys, die die Leser in einem Atemzug verschlangen. Und dem elektrisierenden Kribbeln nach zu urteilen, das sich mittlerweile bis zu ihren Oberarmen ausbreitete, wurde ihr gerade so eine Story mit Geschenkpapier und Silberschleife präsentiert: Der Maler, nach dem sie wochenlang gesucht hatten, entpuppte sich als Amnesiepatient in Europa.
»Können Sie mich noch hören?«, fragte Celine. Offiziell war der Empfang unter diesem Teil der Erde Manhattans gewährleistet, aber man konnte ja nie wissen.
Während Noah ihr die weiterhin einwandfreie Verbindung bestätigte, quetschte sich Celine zwischen einem Schwarzen mit klobigen Kopfhörern und einem älteren Geschäftsmann im Nadelstreifenanzug an die Haltestange. Der Anzugträger telefonierte allen Ernstes mit seinem iPad, was dem Ausdruck »Brett vor dem Kopf« eine ganz neue Bedeutung verlieh. Dazu benötigte er beide Hände, was nicht nur komplett lächerlich aussah, sondern auch dazu führte, dass der Mann beim Anfahren das Gleichgewicht verlor und gegen Celine prallte.
»Wieso haben Sie mich wieder angerufen?«, wollte ihr Gesprächspartner von ihr wissen.
»Wieso werden Sie Noah genannt?«, erwiderte Celine, den älteren Mann von sich schiebend.
Nur eine Handvoll Personen kannten den handschriftlich verfassten Namen auf der Rückseite der Zeichnung. Der Chefredakteur, der Herausgeber, sie selbst.
Und natürlich der Verfasser.
Die Verantwortlichen der New York News hatten alles getan, um den Kreis der Eingeweihten so klein wie möglich zu halten. Es war natürlich möglich, dass irgendjemand einem Freund oder Bekannten die Information gesteckt hatte, aber nicht wahrscheinlich. Es reichte ja nicht aus, den Namen zu kennen, man musste am Ende schließlich beweisen können, dass man in der Lage war, dieses Bild tatsächlich gemalt zu haben.
»Ich vermute mal, Sie haben weder einen Pass noch Geld, um nach New York zu reisen?«
»Richtig.«
Hm.
Celine ging im Geiste ihre Optionen durch.
Offiziell war die PR-Aktion abgeblasen, es war nur der Lahmarschigkeit der IT-Abteilung zu verdanken, dass die Aktions-Hotline überhaupt noch geschaltet war; wahrscheinlich nur deshalb, weil alles, was mit ihr und ihrem Arbeitsplatz zu tun hatte, keine Priorität mehr besaß, seitdem sie auf der Liste der zu entlassenden Mitarbeiter stand.
Noch vor zwei Wochen hätte sie einen Etat gehabt, vielleicht wäre sie sogar freigestellt worden, um persönlich nach Europa zu fliegen. Jetzt war die Geschichte lauwarmer Kaffee, und sie bezweifelte, dass ihr Chef ihn wieder aufbrühen lassen wollte. Und wenn,
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