Noah: Thriller (German Edition)
der Rede fort, die er wie immer frei vortrug, ohne auch nur ein einziges Mal auf seine Notizen zu schauen. »Die Praxis des Ablasshandels. Hatte man gesündigt, warf man etwas Geld in den Klingelbeutel, und – schwups – war man exkulpiert. Wenn ich meinen Blick heute in die Runde schweifen lasse und all die feisten Männerleiber sehe, die selbstgefällig die Hände ihrer ausgehungerten, lächerlich jungen Ehefrauen tätscheln, dann scheint es mir, als glaubten viele von Ihnen, diese Unsitte des Mittelalters wäre noch nicht abgeschafft.«
Statt beleidigtem Gemurmel erntete Zaphire Gelächter.
Was für ein degenerierter Haufen.
»Sie sitzen hier auf Ihren breiten Ärschen, säbeln mit einem Silbermesser durch das Kotelett und hoffen, mit jedem Bissen ein wenig mehr aus dem Radius Ihres persönlichen Fegefeuers treten zu dürfen.«
Zaphire schüttelte abfällig den Kopf. Seine faltige Haut, die sich wie bei einem Hund von den Wangen über die Kieferknochen wölbte, schlackerte bei dieser Bewegung. Er war kein schöner Mann, war es nie gewesen. Krumm, verwachsen, abstehende Ohren und schiefe Zähne. Als seine erste Frau mit Zwillingen schwanger ging, sagte er Freunden, er würde dem lieben Gott die Hälfte seiner damals noch jungen Firma schenken, wenn die Kinder nicht nach ihm kämen. Am Ende kamen sie gar nicht. Der lokalen Presse war die Nachricht von dem Tod seiner Frau und den Babys bei der Geburt nur eine halbe Spalte wert gewesen. Damals war Zaphire noch nicht so bedeutend wie heute. Und niemals hätte er seine Zuhörer bei Ansprachen derart beschimpfen dürfen.
»Ihr bigotten, verlogenen Heuchler wollt euch freikaufen. Aber ich habe eine schlechte Nachricht für euch alle im Raum: Ihr habt die fünfzehnhundert Dollar für das Sechs-Gänge-Menü umsonst bezahlt. Eure Sünden werden euch nicht vergeben. Ihr alle bleibt das, was ihr seid: Mörder. Und ihr alle werdet eines Tages dafür büßen.«
Als Zaphire vor sieben Jahren zum ersten Mal bei einem Galadinner der Kragen geplatzt war, hatte man ihm ungefähr an dieser Stelle seiner Festrede das Mikrophon abgedreht. Heute, nachdem die Videoaufzeichnung des legendären Wutausbruchs zweihundert Millionen Mal auf YouTube angeklickt worden war, genoss der Chef von Fairgreen Pharmaceutics Kultstatus und Narrenfreiheit. Ein Mann, der von seinen Anhängern wie ein Popstar verehrt wurde – spätestens, seitdem er den Friedensnobelpreis mit den Worten ausgeschlagen hatte: »Den habe ich genauso wenig verdient wie Hitler.«
Natürlich hatte er auch Feinde. Mächtige Feinde.
Allen voran den Chefredakteuren seriöser Medien war es suspekt, dass ausgerechnet der Boss des einst größten Pharmaunternehmens der Welt sich plötzlich für Menschenrechte engagierte. Niemand hatte zu jener Zeit geglaubt, »der Geier« (ein Spitzname aus Tagen, an denen er über angeschlagene Konkurrenzfirmen so lange »gekreist« war, bis sie den Insolvenztod starben und er sie sich einverleiben konnte) würde wirklich 95 Prozent seines Vermögens einer privaten Stiftung übertragen, die den bescheidenen Namen »Worldsaver« trug. Aber er hatte es tatsächlich getan, zum Leidwesen seiner dritten und nunmehr geschiedenen Ehefrau Tiffany, die auf die Hälfte der 242 Milliarden spekuliert hatte und sich nun mit einem monatlichen Taschengeld von 47000 Dollar einem Leben in der Gosse nahe sah.
Doch es war nicht der Verzicht auf den Großteil seines Geldes, was ihm den (abgelehnten) Nobelpreis eingebracht hatte (denn auch mit den restlichen fünf Prozent konnte er noch sehr luxuriös leben), und auch nicht das Gute, was die Worldsaver-Stiftung nachweislich mit seinen Milliarden vollbrachte. Seine Anerkennung, auch in den Medien, schnellte in atmosphärische Höhen, als er Zaphire Medicals in Fairgreen Pharmaceutics umwandelte, ein Non-Profit-Unternehmen, das all seine Patente fortan dazu nutzte, Medikamente zum Selbstkostenpreis unter den Ärmsten der Armen in aller Welt zu verteilen.
Weil ich es dem Planeten schuldig bin, meine Fehler wieder wettzumachen, bevor ich sterbe, hatte er einen guten Freund wissen lassen, mit dem er heute kein Wort mehr wechselte, weil dieser das Zitat der Presse zugespielt hatte.
»Ich würde Ihnen jetzt gerne einen jungen Mann vorstellen«, sagte Zaphire mit der ihm eigenen, näselnd arroganten Stimme, und der Saal verdunkelte sich. Ein Beamer warf ein schwammiges bläuliches Bild auf die Leinwand in seinem Rücken.
»Ich weiß nicht, wie er heißt, aber
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