Noah: Thriller (German Edition)
schlummerte.
»Ich weiß, das klingt seltsam. Aber diese Farben da«, er griff sich den Artikel wieder, »sind wie ein Schlüssel. Sie passen zu einem Schloss in meinem Kopf. Als ich sie gesehen habe …«
»… hat sich bei dir eine Tür geöffnet, und du hast geschrien, als wäre der Teufel hinter dir her, ja, ja, das hab ich wohl mitbekommen; mir klingeln immer noch die Trommelfelle. Sag mal, ist dir eigentlich klar, dass du gerade unsere gesamten Tageseinnahmen verballert hast?«
Oscar schlug mit der flachen Hand gegen das Münztelefon, was Toto auf seinem Lager hochschrecken ließ.
»Es tut mir …«
»Sieben Euro neunzig. Futsch. Weg. Aufgelöst, nicht mehr da. Finito, nada. Nur wegen eines blödsinnigen PR-Gags einer noch blödsinnigeren Zeitung.«
Sein Weggefährte bebte vor Zorn.
»Das ist kein PR-Gag.«
»Nein, natürlich nicht. Lass mich raten, wir müssen hier nur noch zehn Minuten warten, dann kommt jemand mit einem Koffer vorbei und bringt dir die Million. Wie hast du sie denn bestellt? In großen oder kleinen Scheinen?«
Oscar machte eine wegwerfende Handbewegung und wandte sich ab.
»Sieben Euro neunzig«, murmelte er, während er sich wieder nach der Zeitung bückte, um sich damit zuzudecken. »Für eine Zeichnung, die so aussieht, als hätte ein Kind seinen Tuschkasten umgekippt. Moderne Kunst, so ein Quatsch. So was zeichnen Bekloppte bei der Gestalttherapie. Na ja, immerhin wissen wir jetzt, wo du herkommst.«
»Wie meinst du das?«
Oscar sah zu Noah hoch, der immer noch neben dem Telefon stand. »Du hast es gar nicht gemerkt, was?«
»Was gemerkt?«
»Dein Deutsch ist ja schon nicht von schlechten Eltern, aber Englisch sprichst du wie ein Maschinengewehr.«
»Englisch?« Noah blinzelte, als wäre ihm etwas in die Augen geflogen.
»Ja. Mit amerikanischem Akzent. Ich gehe jede Wette ein, dass du aus den USA stammst.«
Noah erstarrte, nur seine Augen blieben in Bewegung. Er blickte schräg nach oben zur Decke, nach unten zum Fußboden, zu Oscar, Toto und wieder zum Telefon, als wollte er ein 3-D-Bild seiner Umgebung scannen.
Tatsächlich.
Jetzt, da Oscar es sagte, wurde ihm klar, dass er mit der Redakteurin in einer anderen Sprache gesprochen hatte als mit ihm. Und nicht nur gesprochen.
Ich habe in dieser Sprache gedacht!
»Nun steh hier nicht rum wie eine Ampel. Du hast diesen Mist nicht gemalt. Der Bericht hat nur Erinnerungen an deine Herkunft geweckt. Nicht mehr und nicht weniger. Aber darüber können wir morgen in Ruhe reden. Die Nacht ist kurz, um fünf kommen die Putzleute, und dann …«
Oscar kam nicht mehr dazu, den Satz zu vollenden. Ein durchdringendes Schellen ließ ihn genauso zusammenzucken wie Noah und Toto, dessen helles Kläffen sich mit dem Telefonklingeln mischte.
Noah drehte sich um und starrte wie hypnotisiert auf den Münzfernsprecher an der Wand. Nach dem vierten Läuten nahm er ab.
Die Frau klang nicht mehr amüsiert und alles andere als gedanklich abwesend. »Wie sagten Sie gerade, werden Sie genannt?«
»Noah.«
Er bekam das Wort kaum heraus, seine Kehle war wie zugeklebt. Celine Henderson schien es nicht anders zu gehen, als sie ihn fragte: »Wo können wir Sie abholen?«
8. Kapitel
Celine stieg die Stufen zur Subway Eingang 57th Street Ecke 7th Avenue Richtung Downtown hinab und fingerte beim Telefonieren ihre MetroCard aus der Handtasche. Ihre Augen fühlten sich schwer und träge an, als wären sie mit den Tränen gefüllt, die sie eigentlich vor der Praxis von Dr. Malcolm hatte weinen wollen, wenn der Anruf sie nicht davon abgehalten hätte.
»Berlin?«, fragte sie. »Damit meinen Sie nicht das 7.500-Seelen-Nest in New Jersey, nehme ich an.«
Es gab über zwölf Orte in den USA, deren Gründungsväter so einfallsreich gewesen waren, ihr Dorf nach der Heimat zu benennen, aus der sie ausgewandert waren. Zwei davon alleine im Staate New York. Doch die hatten ganz bestimmt nicht die Vorwahl der Rufnummer, mit der der mysteriöse Teilnehmer sie angerufen hatte.
»Ich meine Berlin, Deutschland.«
Tja, kein Problem. Liegt ja nur der Atlantik zwischen uns.
Celine schlüpfte durch die Drehtür und knöpfte sich ihren Mantel auf. Wie in jedem Winter erlebte man in New York beim U-Bahn-Fahren ein Wechselbad nach dem anderen. Kaum den frostigen Außentemperaturen entflohen, fand man sich auf dem Bahnsteig in einer staubtrockenen, überhitzten Umgebung wieder, um wenig später in einen auf siebzehn Grad klimatisierten Zug zu steigen.
»Und
Weitere Kostenlose Bücher