Noah: Thriller (German Edition)
ich nenne ihn Akin, was in seiner afrikanischen Muttersprache so viel bedeutet wie Kämpfer, Krieger oder mutiger Mann. Und das ist Akin in jedem Fall, im Gegensatz zu Ihnen: ein sehr mutiger Mann.«
Das Bild wurde schärfer, dennoch gab es noch nicht viel darauf zu sehen, nur einen kleinen schwarzen Punkt auf einer bewegten blaugrauen Oberfläche.
»Die Satellitenaufnahmen fielen uns zufällig in die Hände.«
Das Publikum lachte, einige klatschten. Es war ein offenes Geheimnis, dass Zaphires Stiftung einen Teil ihres Vermögens in Aufbau und Pflege einer privaten, ungenehmigten Satellitenüberwachung steckte. Worldsaver ließ die Ländergrenzen von Krisenherden in aller Welt, etwa die vom Sudan zum ölreichen Südsudan, beobachten und meldete der Öffentlichkeit jeden Hinweis auf drohende Völker- und Menschenrechtsverletzungen, zum Beispiel durch eine Mobilmachung des Militärs.
»Akin, den ich auf etwa zwanzig Jahre schätze, treibt auf dem Schlauchboot, das Sie jetzt hoffentlich etwas besser erkennen, nicht alleine.«
Der Kameraausschnitt war konturreicher geworden.
»Zur Orientierung: Wir befinden uns im Mittelmeer, etwa hundertfünfzig Kilometer von der maltesischen Küste entfernt. Die Sicht ist gut, kein Wellengang, kein Wind, auch die Sonne ist zu dieser Jahreszeit kein Problem für Akin und die anderen Flüchtlinge im Boot. Sehen Sie die Striche da?« Zaphire deutete mit einem Laserbeamer auf die Leinwand.
»Das sind acht Beine. Sie liegen wie Mikadostäbchen über- und durcheinander und haben sich in den letzten vierundzwanzig Stunden nicht einen Millimeter bewegt. Mit anderen Worten: Die vier weiteren Insassen des Schlauchboots – ein Kind, eine Frau, vermutlich seine Mutter oder Schwester, und zwei junge Männer, womöglich seine Brüder – sind tot. Und Akin, der es wohl noch nicht übers Herz gebracht hat, seine Schicksalsgenossen ins Meer zu werfen, wird es auch bald sein, denn Wasserkanister, Paddel und Essensvorräte hat ein gewaltiger Sturm vor sieben Tagen über Bord gerissen.«
Zaphire stützte sich mit beiden Armen auf dem Pult ab und beugte sich drohend nach vorne.
»Auch Akin wird sterben. Falsch. Er wird ermordet. In nur wenigen Stunden. Von Ihnen hier im Saal.«
Stille. Auf den wenigen Mienen, die er von hier oben sehen konnte, flackerte ein unsicheres Lächeln, aber niemand wagte, etwas zu sagen. Zaphire hörte nicht einmal mehr das Klappern von Besteck oder das Klirren der Gläser.
»Vermutlich ist Ihnen das Leben dieses afrikanischen Jungen egal. Wahrscheinlich erschrecken Sie jetzt viel mehr, wenn ich Ihnen verrate, dass das Fleisch auf Ihrem Porzellanteller kein Ibaiona-Schwein ist, sondern aus herkömmlicher Massentierhaltung stammt.«
Auch wenn es kein Witz war, nutzten einige der Anwesenden den Moment für ein befreiendes Auflachen.
»Ich bitte Sie, einmal den Teller zu heben.«
Geschäftige Unruhe machte sich breit. Lautes Gemurmel brandete auf, als die Gäste ein Stück Papier fanden, das auf Wunsch Zaphires unter jedes Gedeck gelegt worden war.
Lakonisch sagte er: »Was Sie jetzt in den Händen halten, ist ein Beipackzettel, wie er in Millionen von Medikamentenpackungen steckt. Und wie er jedem im Supermarkt gekauften Schnitzel beiliegen müsste: Tylosinphosphat, Olaquindox, Aminosidin, Clorsulon, Clavulansäure, Levamisol, Azaperon – die Liste ist endlos. Sogar Aspirin wurde von unserem Labor nachgewiesen. Und das ist ja auch ganz logisch.«
Er räusperte sich und nippte kurz an dem bereitstehenden Wasserglas.
»Wenn ich Sie hier alle anketten und in einem lichtlosen Raum auf wenigen Quadratmetern zusammenpferchen würde, wenn ich Ihnen wie den Schweinen im Stall unserer Fleischfabriken die Eckzähne herausbräche, damit Sie Ihren Platznachbarn nicht totbeißen können, und wenn ich Sie dann mit genmanipuliertem Billigfraß und Wachstumshormonen in Blitzgeschwindigkeit bis zur Schlachtreife hochmästen würde, die nebenbei bemerkt viele der Anwesenden hier im Saal schon längst überschritten haben, dann ist es klar, dass mein Massenmenschschlachtungs-Geschäftsmodell ohne Einsatz von Schmerzmitteln, Antibiotika, Psychopharmaka und Antiparasitika nicht auskommen könnte, ganz zu schweigen von den Tonnen an Sedativa, damit Sie auf dem Transport zum Schlachthof nicht randalieren, bevor ich Sie dort lebendig in ein Brühbad kippen kann.«
Zaphire machte eine abwinkende Handbewegung, als wollte er erwartete Einwände gleich vorwegnehmen.
»Keine Sorge.
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