Noah: Thriller (German Edition)
dann gewiss nicht von ihr.
Andererseits spüre ich, dass bei dem Mann mehr dahintersteckt als bei all den anderen Spinnern, die mich bislang angerufen haben.
Er klang aufrichtig, worauf man natürlich nichts geben durfte. Allen voran ihr Ex hatte sie das gelehrt, dem Celine jedes Wort zum Thema Treue und Zuverlässigkeit abgekauft hatte, bis es zur ersten Bewährungsprobe gekommen war.
Der Zug bremste sich in den Bahnhof 49th Street.
»Kann ich Sie unter dieser Nummer permanent erreichen, Noah?«
»Nur bis fünf Uhr morgens, dann kommen die Putzleute.«
»Was für Putzleute?«
»Die, die den U-Bahnhof säubern.«
»Sie schlafen auf einem U-Bahnhof?«
Na, das passt ja.
Celine machte einer Mutter mit einem Baby Platz, und ihr schnürte es die Kehle zusammen. Für einen Moment war sie beim Anblick des friedlich in der Bauchtrage schlummernden Säuglings versucht, einfach aufzulegen, um dort weiterzumachen, wo sie vor der Arztpraxis von Dr. Malcom aufgehört hatte – mit Heulen. Doch was würde das ändern? Sie musste den Bluttest abwarten, die Tage zählen, bis die Fruchtwasseruntersuchung durchgeführt wurde. Unzählige Stunden, die sie mit trübsinnigem Grübeln, Bangen und Hoffen verbringen konnte – oder indem sie sich ablenkte.
»Bleiben Sie bitte kurz in der Leitung.«
Sie wählte, nachdem sie sich mehrmals vergewissert hatte, dass Noah nicht auflegte, den Anschluss ihres Chefredakteurs.
Das Gespräch, das sie mit ihm führte, war wie üblich kurz, aber ausnahmsweise einmal konstruktiv. Normalerweise traf Kevin Rood nie spontane Entscheidungen, schon gar keine, die mit Kosten verbunden waren. Doch als er von der neuen Entwicklung hörte, reagierte er keineswegs ablehnend, wie sie erwartet hatte, sondern erteilte umgehend unmissverständliche Anweisungen, die sie sogleich an den Obdachlosen weiterreichte: »In welchem Stadtteil Berlins halten Sie sich gerade auf, Noah?«
Sie musste die Frage wiederholen, weil ihr Zug schon wieder zum Stehen kam und die laute Durchsage der Umsteigemöglichkeiten am Times Square jegliche Kommunikation unmöglich machte. Celine kämpfte sich gegen den Strom derer, die einsteigen wollten, auf den Bahnsteig und ging zum Ausgang 42nd Street.
»Oscar sagt, es nennt sich Moabit.«
»Wer ist Oscar?«
»Mein, äh … er ist mein Freund«, hörte sie Noah sagen. Es klang so, als wäre er sich dessen nicht hundertprozentig sicher.
»Fragen Sie ihn, wie weit es von Ihrem jetzigen Aufenthaltsort bis zum Brandenburger Tor ist.«
Es raschelte kurz, dann meldete sich Noah mit der Information zurück.
»Eine halbe Stunde Fußmarsch. Vielleicht vierzig Minuten.«
»Also schön, dann machen Sie sich bitte gleich auf den Weg.«
»Wohin denn?«
»Ins Hotel Adlon. Dort wird in diesen Sekunden ein Zimmer für Sie reserviert.«
9. Kapitel
Los Angeles, USA
»Meine unverehrten Damen und Herren, überschätzte Gäste, ich begrüße Sie zu diesem zwölften Wohltätigkeitsbrunch für notleidende Kinder in Afrika; ein Motto, das ebenso verlogen ist wie das Publikum, zu dem ich heute sprechen muss.«
Jonathan Zaphire sah über den Rand seiner schwarzen Hornbrille über das Rednerpult hinweg zu den zweiunddreißig vollbesetzten Tischen im Ballsaal des Ritz-Carlton.
Das Scheinwerferlicht blendete ihn ein wenig, weshalb der einundsiebzigjährige ehemals reichste Mann der Welt wahrscheinlich noch verkniffener wirkte als sonst, aber soweit er es mit seinen müden Augen erkennen konnte, lächelte die Mehrzahl der Anwesenden. Nur Mitglieder der angeblich feinen Gesellschaft und weltbekannte Prominente hatten Einlass gefunden: Politiker, Manager, Künstler und Adlige aus über zehn Nationen.
Rechts vorne, in der ersten Reihe, saß der deutsche Wirtschaftsminister mit seiner Frau direkt neben einem russischen Medienmogul, der erst letzte Woche den Tabellenführer der ersten Liga im spanischen Profifußball gekauft hatte. Zaphire entdeckte einen niederländischen Internetmilliardär, den man neben einen amerikanischen Rockstar gesetzt hatte. Keiner der hohen Gäste wunderte oder beschwerte sich gar über die beleidigende Anrede. Weder die Eigentümerin des größten französischen Radiosenders noch der japanische Reeder. Keine empörten Zwischenrufe, niemand verließ den Saal. Sie hatten es nicht anders erwartet.
Zaphire sagte das, was er dachte, und die Menschen liebten ihn dafür.
»Im vierzehnten Jahrhundert gab es eine wunderbare Praxis der katholischen Kirche«, fuhr er mit
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