Noah: Thriller (German Edition)
Schlafzimmerschrank.«
»Meine Sachen?«
Noahs Blick wanderte zu dem dunkel geölten Ahornschrank in der Dachschräge.
»Die, die Sie bei Ihrem letzten Besuch in der Eile zurückgelassen haben. Wir haben Sie angeschrieben, aber da Ihr enger Zeitplan Ihnen sicher nicht die Zeit ließ, darauf zu reagieren, waren wir so frei, den Koffer in der Zwischenzeit für Sie aufzubewahren.«
16. Kapitel
Bis auf die Elektronik war die Einrichtung der Redaktion irgendwo in den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts stehen geblieben. Mit mausgrauem Polyester bespannte Trennwände teilten das Großraumbüro in ein Dutzend Arbeitskabinen, in denen jeweils drei Mitarbeiter hinter einem tapeziertischartigen Schreibtisch klemmten. Celine hatte den Platz in der Mitte zugewiesen bekommen, zwei männlichen Kollegen gegenübersitzend, die im Augenblick wie alle anderen in der Konferenz waren.
Und ich schiebe hier Telefondienst.
Celine saß in ihrer typischen Arbeitshaltung, dem »halben« Schneidersitz: das linke Bein angewinkelt auf dem Stuhl platziert, den rechten Oberschenkel darübergelegt. Eine Position, in der ihr regelmäßig der Fuß einschlief, wenn sie beim Arbeiten die Zeit vergaß. Sie kaute auf dem Radiergummiende eines Bleistifts und starrte auf ihr Telefon. Ihr war flau im Magen, aber das rührte nicht von ihrer Schwangerschaftsübelkeit, die seit der zehnten Woche fast vollständig verschwunden war.
Woher wusste Kevin von Oscar?
Hatte sie Noahs Begleitung während des kurzen Telefonats etwa doch erwähnt? Nach all der Aufregung des heutigen Tages, angefangen mit der entsetzlichen Verdachtsdiagnose Dr. Malcoms, wäre diese Erinnerungslücke sicher erklärbar.
Aber ich müsste mich schon sehr täuschen …
Sie sah auf die Uhr und nahm den Zettel zur Hand, den Kevin ihr vorhin gegeben hatte. Der Chefredakteur hatte die Durchwahl zum Hotel Adlon in Berlin mit schnörkelloser Handschrift notiert. Sie fixierte den Zettel mit einem Stück Tesafilm am Rahmen ihres Monitors. Dann griff sie zum Hörer. Die Aufforderung »Bitte wählen« tauchte im Display auf. Celine drückte die Ziffer Neun, um eine Amtsleitung zu bekommen, hörte das Freizeichen – und legte wieder auf, weil ein eingehender Anruf anklopfte.
» New York News , Celine Henderson, guten Tag?«
»Bist du das, Liebling?«
Nein. Ich habe nur denselben Namen wie deine Tochter und arbeite zufällig auch an diesem Platz.
»Ja, Mama, ich bin’s. Ist was passiert?«
Es musste etwas Wichtiges sein, das stand fest.
Ihre Mutter hasste Unterhaltungen, bei denen sie ihrem Gegenüber nicht in die Augen sehen konnte. Maria Henderson griff nur dann zum Hörer des Hausapparats in New Jersey, wenn es sich nicht vermeiden ließ.
»Es geht um deinen Dad«, sagte sie mit zitternder Stimme.
In Celines Hals bildete sich ein Knoten. Ihre Hände verkrampften sich um die Computermaus, mit der sie sich gerade erst durch die neuesten Nachrichten über die Flughafenevakuierung geklickt hatte. »Ist ihm etwas zugestoßen?«
Ed fuhr immer zu schnell und verschickte zudem gerne SMS beim Autofahren. Außerdem hielt er sich trotz seines Herzinfarkts vor zwei Jahren nicht an die vorgeschriebene Diät, weswegen sich abwechselnd das Bild von einem Verkehrsunfall und das einer Intensivstation vor ihrem geistigen Auge aufbaute.
»Geht es ihm gut?«, fragte Celine.
»Ja … Ich meine, ich weiß es nicht. Ich hoffe.«
»Was soll das heißen, du HOFFST?« , hätte sie am liebsten durch den Hörer geschrien, aber Maria war den Tränen nahe, und sie wollte die Situation nicht dadurch verschlimmern, indem sie sie anfuhr.
»Er wollte seinen Bruder abholen.«
»Onkel Brad?«
»Er kommt übers Wochenende aus Annapolis zu Besuch. Vermutlich will er wieder Geld, weshalb ich nicht verstehe, weshalb er nicht den Zug oder den Bus nimmt, zumal Brad doch angeblich Angst in diesen Dingern hat.«
Celine schloss die Augen und trommelte nervös mit den Fingern auf die Schreibtischplatte. Es war wie immer, wenn sie versuchte, mit ihrer Mutter eine Unterhaltung zu führen. Selbst unter normalen Umständen gingen Maria stets zehn Gedanken gleichzeitig durch den Kopf, was es schwer machte, ihr zu folgen.
»Ich verstehe kein Wort, Mum.«
»Brad ist geflogen, Schätzchen.«
Verdammt.
»JFK?«
»Ja.«
Celine hatte das Gefühl, sich um die eigene Achse zu drehen, obwohl sich der Bürostuhl unter ihr keinen Zentimeter bewegte.
»Ich kann ihn nicht mehr erreichen, Liebling. Ich krieg nur diese
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