Noah: Thriller (German Edition)
emotionalen Schwäche heraus verlangt, die schwangere Reporterin in Amsterdam zu treffen. Sie war sein psychologischer Lackmustest. Hielt sein anonymer Gegner sich an die Abmachung? Oder war Celine schon nicht mehr am Leben? Die Antwort auf diese Fragen würde Noah zeigen, mit welcher Art von Feind er es zu tun hatte. War dieser bereit, einen Deal einzugehen, um an die Informationen zu gelangen, die er benötigte? Dann gab es Verhandlungsspielraum. Oder vertraute sein Gegner schlicht auf die Übermacht physischer Gewalt? Dann durfte Noah keine Zeit verlieren, um ihn bei der nächstbesten Gelegenheit auszuschalten.
Natürlich war nicht auszuschließen, dass Celine mit dieser Frau unter einer Decke steckte und sein Gespür ihn getrogen hatte. Aber so suspekt wie ihm der Mann im Speisewagen erschienen war, so sicher war er sich, dass von Celine keine Gefahr ausging – im Gegensatz zu dem aufgetakelten Püppchen und ihrem schießbereiten Schergen unmittelbar vor ihm.
»Mrs. Henderson ist bei uns«, sagte die Frau schließlich, als ihr klar geworden war, dass Noah sich ohne diese Auskunft keinen Zentimeter vom Fleck bewegen würde.
Die Demonstranten hatten mittlerweile einen Sprechchor angestimmt, immer mehr Menschen erzeugten einen immer größeren Krach.
»Sie wartet an einem sicheren Ort auf Sie.«
»Ich will sie sprechen.«
»Das habe ich mir gedacht.«
Die Frau griff in ihre Jacke und hielt ihm wenig später ein Funktelefon vor das Gesicht. Ohne es aus der Hand zu geben, klopfte sie mit dem langen, perfekt manikürten Nagel ihres Daumens aufs Display. »Sagen Sie Hallo zu Celine, Mr. Noah.«
Die Qualität des übertragenen Bewegtbilds war nicht besser als das einer herkömmlichen Skype-Verbindung, dennoch erkannte Noah eindeutig die Frau, deren Foto ihm Oscar in seinem Versteck gezeigt hatte.
»Geht es Ihnen gut?«, fragte er Celine, die im Gegensatz zu ihrer Entführerin ungeschminkt und vollkommen übermüdet schien. Ihre Stirn glänzte, die Augen waren schmal, und ihre dunkelblonden Haare, die etwas kürzer geschnitten waren als auf dem Foto, klebten an leicht geröteten Wangen.
»Geht so. Ich lebe.«
Ihre Worte waren bei dem Lärm in der Bahnhofshalle nicht zu verstehen, aber Noah hatte sie von den Lippen ablesen können.
Alles klar.
Er hatte erfahren, was er wissen wollte, weswegen er nicht protestierte, als die Frau die Verbindung kappte.
Celine war noch am Leben. Sie wollen also mehr als meinen Tod.
Noah wusste, es gab nun keinen Zweifel mehr daran, dass er über ein geheimes Wissen verfügte, an das er sich selbst nicht mehr erinnerte. Ein Wissen, für das es sich zu töten lohnte. Für dessen Wiedererlangung Überseeflüge organisiert und ganze Privatarmeen in Gang gesetzt worden waren.
Aber was kann das nur sein? Und wie weit werden sie noch gehen, um es zu erfahren?
»Wenn ich bitten darf.«
Die Frau ging voraus. Ihr Scherge bildete die Nachhut.
Für die dreißig Meter bis zum Hauptausgang benötigten sie fast fünf Minuten. Noah spürte keine Waffe in seinem Rücken, woraus er schloss, dass der Killer ein Profi war. Wäre er ihm zu nahe gekommen, hätte Noah ihn mühelos entwaffnen können. Außerdem wussten seine Entführer, dass unter diesen Umständen eine Flucht beim besten Willen ein Ding der Unmöglichkeit war. Die ihnen entgegenströmenden Menschen bildeten eine natürliche Barriere.
Als sie es schließlich ins Freie geschafft hatten, war Noah komplett durchgeschwitzt, und seine Schussnarbe pochte vor Schmerzen.
Auch Oscar rang nach Luft. Es war etwas wärmer als in Berlin, dafür sorgte feiner Nieselregen für einen unangenehmen Sprühnebel. Vor dem Bahnhof lichtete sich die Menschenmasse, aber in der Zufahrtsstraße herrschte ein komplettes Verkehrschaos. Taxis, Busse und private Pkw stauten sich in ungeordneten Bahnen. Nichts bewegte sich mehr, selbst die Straßenbahnen waren auf ihrem Schienenbett eingekeilt.
In einiger Entfernung konnte man Polizeisirenen hören und Blaulichter sehen, die den trüben Winterhimmel zum Flackern brachten, aber auch für die Einsatzkräfte gab es anscheinend kein Durchkommen.
Und jetzt?
Noah drehte sich um, sah noch einmal zurück zu dem Haupteingang des Bahnhofs, der mit seinen beiden Uhrentürmen und der roten Backsteinarchitektur wie ein englisches Stadttor wirkte.
»Hier entlang.«
Sie folgten wieder der selbstsicher vorausgehenden Frau, den Schergen weiter im Rücken, und schlängelten sich durch die wartenden Autos über die
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