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Noah: Thriller (German Edition)

Noah: Thriller (German Edition)

Titel: Noah: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Fitzek
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Schmerzen unerträglich wurden.

6. Kapitel
    Würde es das Wort Chaos nicht geben, es hätte für die Zustände am Amsterdamer Centraal erfunden werden müssen. Der Unterschied zu Berlin und seinem verlassenen Hauptbahnhof hätte drastischer nicht ausfallen können. Den Zug hatten Noah und Oscar dank der polizeibewehrten Absperrungen hinter der Haupthalle noch relativ unbehelligt verlassen können. Aber kaum waren diese passiert, hatten sie Mühe, in der Menge nicht verloren zu gehen.
    »Gib mir deine Hand«, schrie Noah seinen Begleiter an und zog ihn wie ein Kind unter einen der gestreiften Säulenbögen, die die altehrwürdige Halle trugen. Unter normalen Umständen war der Bahnhof sicher ein ebenso interessantes Denkmal wie die Grand Central Station in New York. Heute nahm niemand Notiz von der kunstvollen Architektur. Alle schienen nur ein Ziel zu haben: möglichst schnell aus der Stadt zu kommen.
    Noah befahl Oscar, ihren gemeinsamen Koffer gut festzuhalten, und sah zu der Anzeigetafel. Sämtliche abfahrende Züge hatten Verspätung, die meisten mehrere Stunden. Eine Vielzahl war gestrichen.
    Vor den Ticketschaltern formierten sich Menschen wie Mücken um eine Gartenlampe zu einem undurchsichtigen Schwarm. Überforderte Bahnangestellte schrien auf die Wartenden ein und versuchten vergeblich, sie davon zu überzeugen, sich in Schlangen aufzureihen. Niemand wollte ihnen zuhören. Niemand konnte ihnen zuhören, denn zu allem Überfluss machte ein Pulk von Demonstranten mit Trommeln und Kuhglockengeläut jegliche Kommunikation unmöglich. Mit ihrem Lärm heizten die überwiegend jungen Leute, die im Gegensatz zu den meisten Reisenden keinen Mundschutz trugen, die vorherrschende Hysterie nur noch weiter an. Eine Hysterie, die sie paradoxerweise laut den Schriftzügen ihrer Banner zu bekämpfen versuchten. Noah, dem Niederländisch nicht so geläufig schien, konnte nur zwei der skandierten Parolen erahnen:
    Das Virus existiert nicht!
    Stoppt die Pharma-Lüge!!!
    »Wollen wir’s hoffen«, brüllte ihm Oscar ins Ohr. »Für uns und für den armen Kerl eben im Zug.«
    Sie hatten noch nicht darüber geredet, aber beiden war die mögliche Bedeutung des plötzlich und unvermittelt auftretenden Nasenblutens sehr wohl bewusst. Das Wort »Ansteckungsgefahr« hatte in dem Schweigen, in das sie bis zum Verlassen des Zuges verfallen waren, unausgesprochen in der Luft gelegen.
    Der Demonstrationszug änderte seine Route. An seinem äußeren Ende schlurfte eine junge Frau mit rotgefärbten Rastazöpfen und einer Trillerpfeife im Mund nur wenige Schritte entfernt an Noah vorbei. Als sie auf seiner Höhe war, griff er nach dem Ärmel ihres Anoraks.
    »Hey«, brüllte sie, musste aber ohnehin stehen bleiben, da der Demonstrationszug wegen der kaum mehr zu bewältigenden Überfüllung ins Stocken gekommen war.
    Noah entschuldigte sich und fragte auf Englisch: »Was ist hier los?«
    Die Frau sah ihn an, als wäre er ein Außerirdischer. »Hören Sie keine Nachrichten?«
    »Wir waren über sechs Stunden im Zug.«
    »Wären Sie mal besser dringeblieben. Schiphol wurde dichtgemacht.«
    »Der Flughafen?«
    Sie strich sich einige ihrer Filzlocken aus der Stirn. »Eine asiatische Reisegruppe wurde mit angeblich schwersten Symptomen bei der Einreise aufgegriffen. Sie wurden sofort festgesetzt, aber einer der Koreaner ist laut Reiseleitung nie auf der Krankenstation eingetroffen. Nun hat die Regierung das Gerücht gestreut, ihm wäre es gelungen, den Flughafen zu verlassen, bevor die Quarantäne vollständig gegriffen hat. Grund genug für die größte Volksverdummungszeitung, die wir haben, den Notstand auszurufen und den Menschen die Flucht aufs Land zu empfehlen.«
    »Verstehe.«
    »Alles Lüge«, brüllte die Demonstrantin weiter gegen die Umgebungsgeräusche an. Ihre Stimme war schon heiser vom Schreien. »Wie nach dem 11. September. Sie brauchen die Angst, um uns zu kontrollieren. Schauen Sie selbst.«
    Die Frau zeigte auf eine mundschutzbewehrte Mutter, die einen Zwillingskinderwagen wie einen Rammbock benutzte, um sich ohne Rücksicht auf Verluste ihren Weg zu den Absperrungen zu bahnen. Er verstand, was sie ihm sagen wollte. Von den Menschen hier wollte keiner abwarten, bis ein Koreaner in der Innenstadt zusammenbrach. Sie hatten Angst vor der Seuche, und da der Flughafen geschlossen war, strömten sie zu den Bahnhöfen, um aus der Stadt zu kommen. Noah wollte sich gar nicht erst vorstellen, wie es auf den Autobahnen und am Hafen

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