Noahs Kuss - - ...Und plötzlich ist alles anders
mit Kyles Stimme.
Ich stecke bei » Comedy«. Nur » Science Fiction« trennt uns voneinander; eine ziemlich große Abteilung, aber nicht groß genug.
» Paul?«, sagt Kyle noch einmal, diesmal zögernd. Es schwingt darin eine Offenheit mit, die ich bei ihm nicht mehr gespürt habe, seit wir uns getrennt haben. Ich wollte sagen, seit er mich verlassen hat.
» Hallo, Kyle.«
Niemand sonst hält sich im Laden auf– nur ich und Kyle und Spiff an der Theke, den Blick auf den Monitor gerichtet, der bei ihm ausschließlich Tarantino und Julie Andrews vorbehalten ist.
» Ich wollte schon die ganze Zeit mit dir reden«, sagt er und tritt dabei in seinen Sneakers nervös von einem Fuß auf den andern. Ich schaue auf die ausgefransten Hosenbeine seiner Jeans. Ich muss daran denken, wie ich einmal einen Faden aus dem rechten Saum gezupft und dann den Knöchel darunter berührt habe– Teil eines Sonntagnachmittag-im-Park-Tagtraums, der zu meiner großen Überraschung plötzlich wahr geworden war.
Aber es sind andere Sneakers, das fällt mir auf.
Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Ein richtiges Gespräch will ich mit ihm jetzt nicht anfangen, schon allein deswegen nicht, weil ich mit Noah ausgemacht habe, dass er mich hier abholen soll, wenn die Pizzas fertig sind. Und gleichzeitig treibt mich die Neugier, was er mir denn zu erzählen hat.
» Es tut mir so leid«, sagt er. Einfach, kurz und bündig. Ich lehne mich an das nächstbeste Regal und stoße dabei fast das Gesamtwerk von Abbott und Costello herunter.
» Was?«, frage ich. Vielleicht habe ich mich ja verhört. Ich suche nach Wörtern, die so ähnlich klingen wie » leid«, aber mir fällt nicht viel ein. Nein, ein Irrtum ist ausgeschlossen.
» Ich hab mich getäuscht. Ich hab einen Fehler gemacht. Ich hab dich verletzt. Und es tut mir leid.« Und dann schickt er noch hinterher, wie einen Punkt, mit dem man den Satz abschließt: » Das wollte ich dir nur sagen.«
Wie oft habe ich mir dieses Gespräch schon ausgemalt? Und jetzt ist es trotzdem überhaupt nicht so, wie ich es mir jemals vorgestellt habe. Ich dachte immer, ich würde wütend sein. Ich dachte immer, ich würde sein » Es tut mir leid« in ein spitzes Wurfgeschoss verwandeln, um es ihm ins blutende Herz zurückzuschleudern. Ich dachte immer, ich würde ihm dann so was antworten wie Das kann dir aber auch leidtun! oder Mir tut es noch viel mehr leid, mich jemals mit dir eingelassen zu haben.
Nie hätte ich gedacht, dass ich in diesem Augenblick so wenig Wut verspüren würde.
Nie hätte ich gedacht, dass ich ihm am liebsten sagen würde, Ist schon in Ordnung.
Ich blicke auf die Hülle von » The Breakfast Club« in seinen Händen und erinnere mich an all die vielen Male, die wir den Film ausgeliehen haben, all die vielen Male, die wir in wechselnden Rollen laut die Dialoge mitgesprochen haben– manchmal war ich die Sportskanone, manchmal war er der Streber oder die Prinzessin. Ich weiß, dass er sich auch daran erinnert. Ich weiß, dass er den Film nicht ausleihen kann, ohne auf die eine oder andere Weise an mich zu denken.
» Du musst nichts antworten«, sagt er jetzt. Ich erinnere mich daran, wie nervös ihn Schweigen immer gemacht hat. » Wahrscheinlich willst du sowieso nicht mehr mit mir reden.«
» Stimmt nicht«, höre ich mich sagen, obwohl der klügere (was nichts anderes heißt als: der kleinere) Teil meines Gehirns mir deutlich signalisiert: LASS ES BLEIBEN! LASS ES BLEIBEN!
» Wirklich?«
Ich nicke. Die Ladentür der Videothek geht auf, und ich mache einen großen Satz nach hinten, mitten in » Liebesgeschichten« hinein. Aber es sind nur Seven und Eight, wie immer so mit sich selbst beschäftigt, dass sie nichts und niemanden um sich herum bemerken. Mir wird ganz weich und weh ums Herz, als ich sie sehe.
» Wartest du auf jemanden?«, fragt Kyle und pickt sich damit zielsicher die Frage heraus, die ich am allerwenigsten von ihm hören will.
» Warum tust du das gerade jetzt?«, antworte ich ausweichend selbst mit einer Frage. » Vor einer Woche hast du mich in der Schule noch nicht mal angeguckt. Was ist passiert?«
» Begreifst du das nicht?« Zum ersten Mal wirkt er fast leidenschaftlich und ein bisschen ungeduldig. » Ich hab es nicht geschafft, mit dir zu reden, weil es mich so fertiggemacht hat, dass ich es nicht geschafft habe, mit dir zu reden. Das war der Grund.«
» So ein Quatsch«, feuere ich zurück. Aber natürlich weiß ich genau, was er meint und wie
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