Noahs Kuss - - ...Und plötzlich ist alles anders

vollkommen logisch sein Verhalten war.
    Kyle redet weiter, halb verzweifelt und halb besänftigend. » Eine Zeit lang dachte ich, ich hätte recht. Dabei hatte ich da am allerwenigsten recht. Aber im letzten Monat oder so– also, ich hab versucht, nicht mehr an dich zu denken, aber ich hab es nicht geschafft. Ich hab es einfach nicht geschafft. Ich erwarte ja gar nicht, dass du mich verstehst, aber ich halte es nicht mehr aus. Ich halte es nicht mehr aus, dir aus dem Weg zu gehen. Allem, was zwischen uns gewesen ist. Und immer wenn wir uns in der Schule begegnen, spüre ich, wie sehr du mich hasst. Und das Schlimme ist, ich bin selber daran schuld.«
    LASS NICHT ZU, DASS ER DICH DA REINZIEHT, NUR DAMIT ES IHM BESSER GEHT!, signalisiert mir der kleinere (klügere) Teil meines Gehirns brüllend laut. Nimm seine Entschuldigung nicht einfa…
    » Ich hasse dich nicht«, sage ich. » Ich habe dich nie gehasst. Ich war verletzt.«
    » Ich weiß. Und es tut mir wirklich, wirklich leid.«
    Die Ladentür geht wieder auf, und diesmal ist es Noah, der die riesige Pizza-Box wie die Dino-Diner-Serviererin im Vorspann von » Familie Feuerstein« balanciert. Kyle bemerkt meinen Blick und macht einen kleinen Schritt auf mich zu.
    » Du musst jetzt gehen, oder?«
    Ich nicke. Und dann, was mich genauso überrascht wie ihn, nehme ich ihm » The Breakfast Club« aus der Hand.
    » Ich brauche einen Film«, sage ich.
    » Können wir noch mal miteinander reden? Vielleicht Montag nach der Schule?«
    Das ist nicht gut. Ich weiß, dass das nicht gut ist. Aber ich kann jetzt nicht ablehnen. Ich will unbedingt wissen, was er mir noch sagen will.
    » Na gut, treffen wir uns vorm Chemielabor. Aber nur ganz kurz.«
    » Danke«, sagt Kyle. Und ich muss mich schwer beherrschen, dass ich nicht auch Danke sage.
    Was passiert da gerade? Ich verstehe überhaupt nichts mehr.
    » Paul?«
    Bis Noah mich entdeckt, hat Kyle sich bereits in » Sport & Fitness« verzogen. Noah wirft einen Blick auf das Video in meiner Hand.
    » Gute Wahl«, sagt er. » Einer von Claudias Lieblingsfilmen.«
    Ich spüre, wie Kyle uns beobachtet, auch wenn ich ihn nicht sehen kann. Noah bemerkt nichts. Er ist so glücklich, so selbstvergessen. Während Spiff das Video auf mein Konto bucht, versuche ich, mein eigenes Glücklichsein, meine eigene Selbstvergessenheit wiederzufinden. Als ich dann durch die Tür gehe, drehe ich mich kurz um. Kyle sieht, wie ich mich umdrehe, und hebt die Hand. Ich weiß nicht, was jetzt kommen wird. Dann bewegt er die Hand leicht hin und her. Er winkt mir zu. Es ist gleichzeitig ein Abschieds- und ein Begrüßungswinken.
    Ich bin total verwirrt.
    Noah erzählt mir von den fünf italienischen Frauen, die vor ihm an der Theke des Pizza-Express standen; jede von ihnen wollte einen anderen Belag auf ihr Pizzastück, und als auf einem Stück sich die Beläge dann am Rand leicht vermischten, machten sie einen Riesenaufstand. Der Pizzabäcker versuchte ihnen zu erklären, dass Pizzabacken keine exakte Wissenschaft sei– und dass sich eine verirrte Scheibe Salami schon mal an eine Anchovis schmiegen könne. Die Frauen wollten trotzdem ihr Geld zurück.
    Ich schüttle den Kopf an den richtigen Stellen. Ich lache an den richtigen Stellen. Aber ich bin nicht richtig dabei, ich bin nicht richtig hier– bei Noah. Ich bin in Gedanken noch in der Videothek, in einem der Gänge zwischen » Comedy« und » Drama«.
    Erst bin ich etwas empfindlich, weil Noah meine Geistesabwesenheit gar nicht bemerkt. Dann werde ich wütend auf mich selbst, weil meine Gedanken und Gefühle so abschweifen.
    Wir sind schon fast bei Noah zu Hause, als ich es endlich wieder hinkriege, mich auf die ganz klar schönen Erlebnisse dieses Tages zu konzentrieren. Unser erster Kuss scheint bereits eine Ewigkeit her. Er ist schon fast eine Erinnerung geworden.
    Ich schaffe es gerade so halbwegs, mich mit Noah wieder auf eine Schiene zu setzen– mit ihm ins Haus rein, mit ihm dankbar Claudias mürrische Zustimmung zur Filmauswahl registrieren–, als mich der Film erneut aus der Bahn wirft. Was hab ich mir eigentlich dabei gedacht? Bei Molly Ringwald muss ich an Kyle denken. Bei Judd Nelson muss ich an Kyle denken. Sogar bei dem bescheuerten Schuldirektor muss ich an Kyle denken.
    Wie dumm, dumm, dumm von mir.
    Dann bemerke ich etwas. Noah wirkt genauso abgelenkt. Nachdem Ally Sheedy mit ihrem Schinken nach der Statue geworfen hat, stehe ich auf und gehe in die Küche, um die restliche Pizza